Lieber Luther,
ich bin dir noch eine
Fortsetzung meines letzten Briefes schuldig. Die Josephsgeschichte erzählt zwei Geschichten in einer: Zum einen, eine vom Glauben und wie ein Volk, das einen anderem Gott nachläuft, zum Glauben finden und an Gottes Allmacht glauben kann und was Gott vermag, wenn man glaubt. Das ist die Geschichte Josephs als Fremdling in der Fremde. Es ist eine Geschichte der zwiefachen Demut: Josephs ganz persönlicher Demut und der Demut des Pharaos und des ägyptischen Volkes, bewirkt in der charismatischen und begnadeten Person Josephs. In ihrem Zusammenwirken geben sie ein Idealbild des Gottesreiches auf Erden.
In der zweiten Geschichte, von der ich dir heute schreibe, geht es um Neid, Vertrauen, Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Selbstlosigkeit, Demut, Unkäuflichkeit, Vergebung und Rettung. Das ist die Geschichte Josephs mit seiner Familie, mit seinen Nächsten. Es geht darum, dass die Lüge um Joseph solange das Geschick der Brüder belastet, bis sie am Tageslicht und bereut, gebeichtet ist, bis die Brüder von Joseph freigesprochen sind von ihrer bösen Tat an ihm.
Kern allen Übels, ganz am Anfang, ist der Neid der Brüder auf Joseph, auf die besondere Liebe des Vaters zu diesem Kind. Es geht eigentlich nur um den Neid auf die Liebe. Viehhirten sind sie alle gleichermaßen. Als sich die Gelegenheit bietet, ergreifen die Brüder die Gelegenheit, Joseph aus dem Weg zu räumen. Der älteste Bruder Ruben hat Skrupel und will den Bruder retten. Hinter seinem Rücken verkaufen ihn schließlich die anderen Brüder als Sklave an vorbeiziehende Kanaaniter. Dem Vater lügen sie vor, der Bruder sei von wilden Tieren zerrissen worden. Zu trösten vermögen sie den Vater in seinem Schmerz nicht. Keiner bringt die Größe auf, dem Vater die Wahrheit zu erzählen. Alle machen sich an ihm der Lüge schuldig.
Mit Joseph indes ist Gott. Ohne zu hadern unterwirft sich Joseph seinem Schicksal. Wo er hingeht und was er tut: Er bringt Segen und Glück. Er hat ein Charisma und eine Aura, die keinen Zweifel zulassen. Das erkennen alle seine „Dienstherren“ sofort. Zuerst Potiphar, dann der Gefängniswärter und schließlich der Pharao. Sie unterwerfen ihm ihr ganzes Haus. Der Pharao macht ihn zum Herrn über Ägypten. Er vertraut dem, was er sagt und was er tut. Nicht nur der Pharao tut das, sondern ganz Ägypten. Aus diesem Vertrauen wächst Segen für das Land auch in der Not.
Die Geschichte Josephs und seiner Brüder ist eine lehrreiche Geschichte der Reue und der Umkehr. Joseph verlangt Demut und ruht nicht, bis die Wahrheit am Licht ist, bis diejenigen, die in Unwahrheit sind, sie selbst ans Licht gebracht haben. Ganz zu Beginn der Geschichte hatte Joseph zwei Träume: Seine Garbe stand auf dem Feld aufrecht, die seiner Brüder neigte sich vor ihm, und in einem zweiten Traum neigten sich die Sonne und 11 Sterne vor ihm. Sein Vater Jakob verstand den Sinn und war deshalb zornig über die Anmaßung seines Sohnes, aber er „bewahrte seine Worte“, wie später Maria die Worte des Engels (1.Mose 37, 5ff). Josephs Träume sollten Wirklichkeit werden. In der Not, bevor sie verhungern, reisen die Brüder nach Ägypten, um dort „Speise“ zu kaufen. Ohne zu wissen, dass sie vor ihrem Bruder stehen, bitten sie bei Joseph um Hilfe, fallen vor ihm nieder auf ihr Antlitz (1.Mose 42, 6). Josephs Traum ist in Erfüllung gegangen.
Joseph unterzieht die Brüder verschiedenen Prüfungen. Er versucht herauszufinden, wie ernst sie es mit ihrer Demut und der Wahrheit meinen. Er verlangt nach seinem jüngeren Bruder Benjamin, den der Vater nicht mit den anderen Brüdern nach Ägypten schicken wollte, da er Angst hatte, auch ihm könne ein Unfall zustoßen. Er hatte von Rahel, seiner Lieblingsfrau, nur Joseph und Benjamin. Bei der Geburt von Benjamin starb Rahel. Er vertraute seinen Söhnen nicht mehr, Joseph hatten sie schon nicht wiedergebracht. Benjamin wollte er nicht auch noch verlieren. Josephs Forderung nach Benjamin stellte deshalb eine hohe Hürde dar. Das verlorene Vertrauen innerhalb der Familie musste neu gegründet werden. Juda bürgte für seinen Bruder, auf die Gefahr hin, dass bei Misslingen die Schuld auf seinen Schultern lasten würde, und Jakob stimmte schließlich zu.
Die Sache schien fast schief zu gehen, als Joseph eine neue Hürde aufbaute. Er nahm kein Geld für die „Speise“, die er den Brüdern überließ, an. Er packte das Geld, das sie ihm gegeben hatten, heimlich wieder in die Säcke mit den Nahrungsmitteln, was bei den Brüdern, als sie es entdeckten, kein gutes Gefühl hinterließ. Das war beänstigend und demütigend. Bei der zweiten Reise nahmen sie deshalb das doppelte an Geld mit. Ihre Angst des Geldes wegen erwies sich als unbegründet. Der Schatzmeister Josephs sagt Überraschendes zu ihnen: Fürchtet euch nicht. Euer Gott hat euch einen Schatz gegeben in eure Säcke (1.Mose 42, 23). Will heißen, die „Speise“, um die es hier geht, ist nicht für Geld zu haben, weder käuflich noch verkäuflich. Ihr habt euren Bruder um Geld verkauft, wolltet dass er nicht lebt. Hier schenkt euch einer das Leben, umsonst.
Wieder lässt Joseph Geld und diesmal auch einen silbernen Becher in ihre Lastsäcke schmuggeln. Als sie sich vollbeladen auf den Heimweg machen, lässt Joseph hinter ihnen herjagen und fragt nach seinem Becher. Die Brüder wissen nichts und so sagen sie: Wenn einer von uns den Becher hat, so ist er des Todes. Der Becher wird bei Benjamin gefunden, für dessen Leben Juda gebürgt hat. Die Ägypter fragen: Ist’s nicht das, daraus mein Herr trinkt und damit er weissagt (1. Mose 45, 5)? Wird der Becher der Weisheit zum Todesbecher?
Das ist die Nagelprobe. Stehen sie zu dem Wort, das sie ihrem Vater und den Ägyptern gegeben haben? Oder „verkaufen“ sie auch diesen Bruder? Sie haben gelernt und so kehren sie um, um sich Joseph auszuliefern. Juda bittet für Benjamin und bietet dafür sich selbst als Pfand. Er sagt: Womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden (1.Mose 44, 16). Ohne den ganzen Sinn seiner Worte zu verstehen, spricht Juda aus, um was es geht: Gott hat die Missetat seiner Knechte gefunden. Sie war noch nicht gerechtfertigt, noch nicht vergeben. Juda tritt die Flucht nach vorn in die Wahrheit an. Er erzählt Joseph von Jakob, ihrem Vater, und dass es sein Herz brechen würde, würde er Benjamin nicht zurückbekommen. Juda bittet für seinen Vater und für Benjamin, auch wenn es seine Gefangenschaft bedeuten würde. Er ordnet seine eigenen Interessen unter. Er weiß, er kann nicht ohne Benjamin zurückkehren, es wäre der Tod des Vaters.
Da sagt Joseph diese wunderbaren Sätze der Vergebung: Seid nicht in Sorge, ich zürne euch nicht, denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch her gesandt. Gott hat mich vor euch her gesandt, dass er euch übrig behalte auf Erden und eure Leben errette durch eine große Errettung. Ihr habt mich nicht her gesandt, sondern Gott, er hat mich zum Vater von Pharao gemacht und zum Herrn über sein ganzes Haus und zum Herrn über Ägypten (1.Mose 45, 7-8)
Lieber Luther, im ersten Buch der Bibel ist die ganze Geschichte Gottes mit den Menschen erzählt. Angefangen bei der Schöpfung, die schnelle Vernichtung der Menschen wegen ihrer Schlechtigkeit bis auf Noah, dann die menschlichen Gründungsväter, die Gottes Reich aufrichten, Abraham, Isaak und Jakob. Alles Menschen. Die Bibel verschweigt ihre Verfehlungen nicht. Joseph steht über ihnen. Joseph ist demütig, in allem, was Joseph tut, handelt Gott. Er ist das personifizierte Gut, die Weisheit Gottes. Von Joseph ist kein zorniges Wort überliefert, von Jesus wohl. Joseph ist der Vollkommene. Was Jesus später lehrt, ist in dieser Geschichte veranschaulicht. Joseph, der Pharao, die Ägypter: Sie alle haben sich zweifellos und absolut vertrauend Gott in Joseph unterworfen, auch in der Not. Am Ende der Genesis steht: So sollt ihr mein Reich auf Erden leben. In Joseph habe ich ein Beispiel aufgerichtet. Er ist Jesus im Ersten Bund vorher gesandt, mit Jesus wurde der Bund erneuert und neu veranschaulicht.
Joseph und die Ägypter leben ein Paradies, auch in der Not. In dieser Symbiose ist uns gezeigt, wie Gott in der Not da ist und seine Weisheit in den Menschen ausschütten kann, so dass sie weise handeln. Alle zusammen mit dem Einen. Das gilt vom Größten bis zum Kleinsten. Völlig unerheblich ist dabei, dass die Ägypter eigene Götter haben. Die Geschichte von Joseph mit den Ägyptern funktioniert, weil sich auch der scheinbar unbedeutendste Mensch unterworfen hat, auch wenn er seine ganze Habe dafür hergeben musste. Nur so war Leben für alle. Als der Pharao stirbt, stirbt das Paradies, das Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten. Mose führt das Volk Israel schließlich wieder aus Ägypten. Ein derart lebenserhaltendes und lebensspendendes Miteinander, wie Joseph es mit den Ägyptern und den Brüdern erreicht hat, hat seither niemand mehr erreicht. Wir sind immer noch unterwegs, in das gelobte Land, in dem es auch so sein soll.
Vieles in dieser Josephsgeschichte verweist auf Jesus, lieber Luther. Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Was ich auch hinzufüge, es bleibt ungenügend. Gott hat uns einen Schatz gegeben, wir müssen ihn nur entdecken.
Herzliche Grüße
Deborrah
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