Lieber Luther,
endlich komme ich dazu, dir zu schreiben, was ich eigentlich schon letzte Woche schreiben wollte, aber in den Rahmenbedingungen der Auseinandersetzung Davids mit dem Widersacher steckengeblieben bin. Es geht um eine der schönsten Stellen in der Bibel, die mich restlos begeistert. Wie meist an solchen Stellen, spielt dabei eine Frau eine entscheidende Rolle, es geht um David und Abigail (1.Samuel 25). Wenn man die Vorgeschichte nicht versteht, versteht man auch den Dialog zwischen David und Abigail nicht, deshalb war erst die
Beschäftigung mit den Rahmenbedingungen der Kerngeschichte notwendig.
Abigail war die Frau eines reichen, rücksichtslosen, geldgierigen, jähzornigen Mannes. Sie war – welcher Gegensatz – klug und schön. Die beiden waren wie Feuer und Wasser. Die Frauen waren damals, wie in manchen Gegenden der Welt immer noch, Handelsware, dem ausgeliefert, was Männer über sie bestimmten.
Sie mussten ihr mangelndes Recht mit Klugheit ausgleichen. Oft sind sie die entscheidenden Stellschrauben Gottes zur Wende zum Guten. So auch Abigail.
David ist nicht damit einverstanden, wie Nadal die Menschen, die sein Eigentum sind, behandelt. Er will deshalb intervenieren. Die Lage droht zu eskalieren. Einer der Botschafter, die David schickt, um – vergebens – zu verhandeln, spricht – und das ist sehr außergewöhnlich für die damaligen Gesellschaftsstrukturen – auch mit seiner Frau. Er erklärt ihr die Hintergründe ihrer Mission und Davids Eintreten für die „
Hirten„. Der
Gute Hirte ist das Bild für Jesus, Gott, der uns behütet, Hirten stehen für Menschen, die Gott nachfolgen und Menschen auf Gottes Wegen behüten. Deshalb werden auch Pfarrer als „Hirten“ bezeichnet, obwohl sie manchmal auch zu den verlorenen Schafen zählen. Alles ist zusammengefasst in
Psalm 23, dem Psalm Davids. Die Geschichte, um die es hier geht, erklärt Psalm 23 an einem praktischen Beispiel, an David selbst, der hier fast vom Hirten zu einem verlorenen Schaf wird.
Der geldgierige Nadal beutet die Menschen in seinem Herrschaftsgebiet unerbittlich aus und unterdrückt sie. Die Hirten versuchen zu lindern, wo sie lindern können, werden dafür aber von Nadal drangsaliert. David, der zusammen mit diesen Hirten die anvertrauten Schafe gehütet hat, will das nicht dulden und dagegen angehen. David tritt für diese Menschen ein, weil er ihnen danbar ist, dass sie gastfreundlich waren und ihm, dem von Saul Verfolgten und Flüchtling, Unterschlupf und Brot gewährt haben. Sie sind ihm und den Menschen, die mit ihm von einem Ort zum anderen flohen, „Mauern gewesen Tag und Nacht“. Sie waren eine Zufluchtsstätte für sie. Jetzt, wo diese Menschen selbst in Not sind, will er eine Mauer und Zufluchtsstätte für diese Menschen sein. Ein Bund der Menschlichkeit und des füreinander Eintretens.
Abigail kann, wie David auch, nicht einfach die Hände in den Schoß legen und tatenlos dem Leid zusehen. Deshalb nimmt sie das in die Hand, was in der Symbolik der Bibel, Altem wie Neuem Testament, die Seite Gottes symbolisiert: Brot, Wein, Mehl Rosinenkuchen, gemacht aus der getrockneten Frucht des Weinstocks, sowie Feigenkuchen. Wo der
Feigenbaum Frucht bringt, ist Gott. Jesus erzählt viele Gleichnisse von Feigenbaum, Weinstock und Weizenkorn. Alles Gewächse auf Gottes Acker. Symbole für Gottes Frucht, für Menschen, die Frucht bringen. Es ist also kein Zufall, dass Abigail diese Speisen in die Hand nimmt. Es gilt Hungrige zu sättigen.
Leider ist das Wissen um die Zahlensymbolik der Bibel weitgehend verloren gegangen. Einige Gelehrte versuchen, es wieder herzustellen. Die Liste der „Zutaten“ Gottes, die Abigail, in die Hand nimmt, hat eine Bedeutung, deshalb die genaue Mengenangabe. Abigail nimmt z.B. 5 gekochte
Schafe. Die Zahl 5 steht für die menschliche Bedürftigkeit und die göttliche Erlösung (s. Adolf Heller, Biblische Zahlensymbolik). Abigail nimmt im Bild der 5 gekochten Schafe die Bedürftigkeit der geknechteten, geschundenen, wehrlosen, weichgekochten Menschen unter der Willkürherrschaft ihres Mannes und lädt sie auf den lastbaren Esel. Wie später Maria und Joseph auf einem Esel vor Herodes fliehen, wie Jesus, der auf dem lastbaren Esel in Jerusalem einreitet, auf seinen Schultern das kommende Leid. Der Esel trägt das Leid der bedürftigen Menschen. Es würde sich sicher lohnen, den Sinn auch hinter den anderen Zahlen und Speisen ihrer Zutatenliste weiter zu ergründen, um die gesamte Botschaft zu entschlüsseln. Leider, liebe Luther, habe ich hier dazu weder Raum noch genügend Zeit.
Abigail macht sich also auf zu David und zwar – und das ist ungeheuerlich in damaliger Zeit – ohne Wissen ihres Mannes. Sie schickt die Boten voraus, „siehe ich komme hernach“. David kommt ihr entgegen. Auch dazu gibt es Parallelen, etwa wenn
Isaak Rebekka entgegen kommt. Das Entgegen-Gehen ist ein Aufeinander-Zugehen.
David sagt: Ich habe die Menschen, die deinem Mann gehören, umsonst in der Wüste behütet. Es war zu seinem Nutzen, er aber hat es mit Bösem vergolten. Gott wird es ihm entsprechend vergelten und, wenn der „lichte Morgen“ anbricht, wird Gottes Licht nichts von ihm übriglassen, er wird nichts von dem Bösen vererben, das heißt alles „was männlich ist“ wird nicht überleben. David ist bereit zu streiten und er denkt er streitet für Gott.
Abigail demütigt sich vor David, sie fällt zu seinen Füßen: Herr, mein sei die Missetat, höre deiner Magd zu. Setze dein Herz nicht gegen Nabal, denn er ist ein Narr, sein Name bezeugt es.
Werde nicht selbst zum Narren. Ich habe verstanden, es ist Gottes Wille, dass du selbst nicht gekommen bist, sondern die Boten. Es geschah zu deinem Schutz, damit du nicht in Gefahr geraten bist, deine Hände mit Missetaten zu verunreinigen, dass du dir nicht mit eigener Hand hilfst, sondern auf Gottes Hand vertraust. Das ist so, „so wahr der HERR lebt und so wahr deine Seele lebt“. Es ist Segen auf dem, was ich dir sage, damit du diesen Segen an die Menschen weitergeben kannst, die unter der Herrschaft meines Mannes leiden. Vergib mir, wenn du das als Anmaßung betrachtest. Aber ich weiß, dass der HERR dir dafür ein Haus bauen wird, das ewig besteht. Denn du führst die Kriege des HERRN, nicht deine eigenen Kriege. Es soll nichts Böses an dir gefunden werden, solange du lebst. Und wenn du Verfolgung erleidest, so wird dir nichts geschehen, denn du bist ein Gesegneter Gottes, deine Seele ist im kleinen „Bündlein“ der immer Lebendigen Gottes geborgen. Gott wird deine Feinde von dir wegschleudern und dich zum Herzog (nicht König, das wird ein anderer) über Israel setzen. Ich bin gesandt, damit dein Fuß an keinen Stein stößt, du nicht stolperst und vom richtigen Weg abweichst und anstatt auf Gott auf dich selbst vertraust.
Welche Ansprache! Ohne Beispiel in der Bibel, dass eine Frau einen wie David, einen von Gott Gesalbten, so belehrt. Welche Friedensbotschaft! Abigail ist wie David eine Gesegnete, durch die Gott spricht, um David nicht vom richtigen Kurs abweichen zu lassen. Er selbst ist durch sein Ego blockiert, er braucht jemand, der ihm Anleitung gibt. Sie ist ihm ebenbürtig, von der gleichen Wurzel. David erkennt das sofort: Gelobt sei der HERR, der Gott Israel, der dich mir heute entgegen geschickt hat. Gesegnet seist du, dass du verhindert hast, dass ich von Gottes Weg abweiche und anstatt auf Gott auf mich selbst vertraue, dass ich selbst richte, anstatt Gott richten zu lassen. David nimmt demütig stellvertretend von „ihrer Hand“ wie von Gottes Hand. Ziehe in Frieden, sagt er, ich gehorche dem, was du sagst. Ich sehe, dass du mir von Gott gesandt bist.
Zwangsläufig ist, was da kommt. Gottes Werk folgt dem Wort. Abigail kehrt zu ihrem Mann zurück, der sich an sich selbst und seinem Reichtum betrinkt. Nach 10 Tagen stirbt er. Zehn steht in der biblischen Zahlensymbolik u.a. für Verantwortlichkeit. Gott., nicht David, richtet. Das Böse, veranschaulicht durch den rücksichtslos weltliche Güter an sich raffenden, sich an sich selbst berauschenden und über Leichen gehenden Nadal, muss sich seiner Verantwortung vor Gott stellen. Irgendwie selbstverständlich ist, dass David nach Nadals Tod für Abigail sorgt und sie zur Frau nimmt. Abigail spielt als Person im Weiteren der Bibel keine Rolle mehr. Es geht in den Geschichten der Bibel nicht um die Person als Individuum an sich, es geht immer um ihre Rolle in der Vermittlung der Botschaft, die transportiert werden soll.
Die Botschaft dieser Geschichte ist: Gott sorgt für unseren Frieden, wenn wir zuhören, ohne Ansehen der Person, die Ohren aufmachen, die Botschaft hören, die einem gesagt ist, nicht irdischen Reichtümern nachrennen, nicht eigenen Gewinn maximieren, demütig sein, innehalten, wenn wir vom Weg abzuweichen drohen, nicht in unsere Hand nehmen, was in seine Hand gehört, nicht richten, sondern Gott richten lassen, Gott folgen, nicht dem Verführer in uns. Es geht in der Geschichte um die äußere und innere Verführung. Für die äußerliche Verführung steht Nadal: für die Rücksichtslosigkeit und Raffgier, die falschen Götter, denen wir nachlaufen. Die innere Verführung ist das Ego, das sich in den Vordergrund vor Gott stellt und David fast vom rechten Weg abweichen lässt. Aber nur fast. Gott weiß das zu verhindern. Das gelingt nur, weil David zuhört und Abigails Worten demütig auch in der Tat folgt. Die ganze Botschaft auch heute noch gültige Botschaft. Anwendbar jeden Tag.
Lieber Luther, was für eine Fülle in ein paar Bibelsätzen! Das Gute und das Böse, das Männliche und das Weibliche, der Friede und der Unfriede, Gott und der Verführer im Widerstreit. Was für eine wunderbare Geschichte! Alles in mir freut sich. Es ist einer der schönsten Bibelstellen überhaupt. Der Dialog zwischen David und Abigail ist, als ob Gott sich mit sich selbst unterhält und wir haben das unendliche Glück, zuhören zu dürfen. Brot und Wein in Fülle. Wie genährt dürfen wir in diesen Sonntag gehen!
Herzliche Grüße
Deborrah
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