Der Entschluss ist gefasst. Lang hat es gedauert. Viele Jahrzehnte.
Als ich gerade auf dem Nachhauseweg an meiner heimischen Kirche vorbeigefahren bin, stand mir ein Bild der Trostlosigkeit vor Augen. Kahle Mauern, Leere, Inhaltslosigkeit, Falschheit, Scheinheiligkeit, Verkommenheit, Fassaden mit rissigem Putz, wie tot. Nirgends sind mir in meinem schon einige Jahrzehnte dauernden Leben erbärmlichere Menschen begegnet als in Kirche, katholischer wie evangelischer, aktuell in meiner Kirchengemeinde, allen voran der vermeintlich geistliche Vorsteher. Es ist tatsächlich so. Jeder Obdachlose, dem ich eine Obdachlosenzeitung abkaufe, strahlt mehr ehrliche Herzenswärme aus als jeder einzelne dieser Kirchenmenschen, die mir dort begegnet sind. An einem Bettler und seiner Freundlichkeit kann man sich wärmen, an den Kirchenmenschen erfriert man, da hilft auch keine Kirchenheizung.
Irgendwie wollte ich das all die Jahre und Jahrzehnte nicht glauben wollen, nicht loslassen, was offensichtlich ist, immer denkend, das kann doch nicht sein. Immer wieder einen Versuch startend. Immer in der Hoffnung, auch nur einen einzigen dort zu finden, bei dem das anders ist.
Kirchenmenschen sind in der Form und der Äußerlichkeit gut, aber wehe, man fragt nach Innerlichkeit. Da hört die Kompetenz schnell auf und die Sprachlosigkeit fängt an. Mit absoluter Klarheit stand mir das gerade vor Augen: ES IST SO. Kirche hat nichts mit wahrem Glauben zu tun, da geht es um etwas ganz anderes. In Kirche findet man Gott nicht, sondern nur Abgötter.
Jetzt weiß ich auch, wieso es mir schon seit vielen Wochen tatsächlich körperlich speiübel wird, wenn ich an diesem Kirchenort vorbeifahre: Weil ES SO IST und weil es nach einem Schlussstrich verlangt. Wie üblich habe ich die Dinge vorher gespürt, bevor sie sich klären. Nun weiß ich endgültig, dass ich in dieser Kirche nichts mehr verloren habe. Endlich kann ich ohne jegliches Bedauern gehen. Und ich kann aus dieser Kirche jetzt auch ohne jegliches Bedauern austreten. Alles in mir sagt, ich muss es sogar.
Ich muss daran denken, dass ich das eigentlich schon als 13jährige wusste. Schon damals konnte ich mit den Kirchenmenschen nichts anfangen. Ich weiß es noch genau. Ich dachte: Das kann doch nicht alles sein? Was ich erkenne, weiß ich, weiß ich tief in mir felsenfest und mit absoluter Wahrhaftigkeit, durch alle Selbsttäuschungsversuche hindurch.
Ich musste einen langen Weg gehen, bis ich endlich bereit bin, diese Erkenntnis zuzulassen und den letzten Schritt zu tun. Aber alles hat seinen Sinn. Ich wäre nie dorthin gekommen, wo ich bin, wenn mein Gott mich nicht auf diesem Weg geführt hätte. Er weiß viel mehr als ich und ich weiß, dass dort, wohin er mich führt, das GUT ist. Ich weiß, dass er bei mir ist. Wer denkt, das bedeute kein Leid, der hat noch nichts begriffen. Es ist gerade das Leid, das einen klärt. Im Leid ist viel mehr Gutes und wahres Leben als in jedem vermeintlichen Glück, das nichts als eine vergängliche Emotion ist. Nichts Tragendes für das Leben. So bin ich erleichtert über die Klärung und dankbar allein meinem Gott gegenüber und ihm allein verpflichtet.
Wenn Gott für mich ist, wer mag wider mich sein? (Röm 8, 31; mein Konfirmationsspruch).
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar (Psalm 23, 6). Dafür sorgt er schon.
PS: Um wahrhaftig zu sein: Zwei Menschen habe ich in vielen Jahrzehnten in kirchlicher Organisation gefunden, an denen ich nicht erfroren bin. Auch sie leben inzwischen nicht mehr Kirche, obwohl sie beide Kirchenmänner waren, geistlichen Berufs, sondern nur noch Glauben, nur noch Berufung, mit zum Teil radikalen persönlichen Konsequenzen, die Mut verlangen. Sie leben das „Du musst alles verlassen“ mittlerweile in großer persönlicher Konsequenz und durch viel Anfechtung hindurch. Diese meine Brüder haben meine allerhöchste Hochachtung und Liebe. Sie verstehen mich und ich verstehe sie. Irgendwie gehen wir seit Jahren jeder für sich und doch Hand in Hand den gleichen Weg, auf Augenhöhe, hin und wieder einander stärkend und stützend. Ich bin dankbar, dass mir diese beiden Menschen in einer kirchlichen Organisation begegnet sind.
Herrgottsblatt
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