Lieber Luther,
schaut man auf die Kriege und Greueltaten dieser Welt, der heutigen Welt, nicht der vor 3000 Jahren, dann fragt man sich, wird sich das jemals verändern. Der Mensch, die Kulturen entwickeln sich langsam, wachsen zur Hochkultur, um dann irgendwann wieder in Barbarei zu verfallen. Es passiert immer wieder. Der Mensch lernt aus Angst, Schrecken und Schmerz nicht nachhaltig. Ist der eine Schrecken überwunden, gedenkt man des Furchtbaren eine Zeitlang, nach dieser Zeit gerät es dann in Vergessenheit und es fängt an, sich neu zu entwickeln. Das Böse, das Satanische regiert in der Welt, ist Teil von ihr, wird eine Zeitlang in Schach gehalten, gewinnt aber irgendwann wieder die Oberhand.
Trockne deine Träne über die Verlorenheit der Menschheit im Bösen, sagt Gott. Wie kann ich das? Wo finde ich Trost?
Auch Jesus wurde vom Bösen verführt. Der Teufel wollte ihn verführen, er der alle Reiche der Welt jeden Augenblick im Blick hat. Alle Macht, alle Herrlichkeit in diesen Reichen der Welt ist ihm, dem Teufel, übergeben. Er gibt Macht und Herrlichkeit in dieser Welt wie er will. Der Teufel sagt: Es ist in mein Belieben gestellt, wem ich die Weltherrschaft gebe und ich gebe sie dem, der mich anbetet. Jesus widerspricht diesem Szenario nicht. Er sagt: Es steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, anbeten und ihm allein dienen. Alles, was weltlich ist, ist für Jesus belanglos, nicht ein Teil so begehrenswert, dass er sich dafür dem Teufel ausliefert. Es ist Gott allein, den er begehrt. Nichts konnte Jesus locken, nichts verführen. Und als der Teufel alle Versuchung vollendet hatte, wich er von Jesus „eine Zeitlang“ (Luk 4, 1-13).
Lieber Luther, Jesus sagt: Es steht geschrieben… Alles Entscheidende, was Gott zu uns sprechen will, ist bereits ausgesprochen und zu Papier gebracht. Jesus begehrt nichts in dieser Welt, er begreift sich nur als Teil im Strom Gottes. Eine Zeitlang weicht der Versucher zum Bösen von ihm. Eine Zeitlang heißt: Er wird sein Glück wieder versuchen. Jesus und der böse Geist,
die bösen Geister, sie kennen sich wie alte Bekannte. Klarer als jedes menschliche Auge, sieht der böse Geist den Sohn Gottes und die Bedrohung für ihn: von ihm vertrieben, ausgetrieben zu werden. In manchen Geschichten, in denen erzählt wird, wie Jesus das Böse aus den Menschen austreibt, weil ihm Macht auch über das Böse gegeben ist, versucht das Böse mit Jesus zu verhandeln, ihn dazu zu bringen, das Böse zu verschonen, es nicht aus der Welt zu tilgen. Die bösen Geister sagen: Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist? Sie bitten Jesus, in eine Herde Säue fahren zu dürfen. Jesus gewährt die Bitte. Die Säue stürzten dann aber in den Abhang ins Meer und ersoffen im Wasser (Mt 8, 29-34). Der Text sagt aber auch: Es wird die Zeit kommen, an dem das Böse überwunden sein wird.
Das Böse treibt sein Unwesen, aber Gott vermag es zu tilgen. Das ist die Botschaft hinter allen Geschichten von der Austreibung des Bösen. Die zweite Botschaft ist: Das böse ist da, es mag eine Zeitlang verschwinden, taucht aber immer wieder auf. Es ist Teil des Lebens, Teil des Menschen. Gott, Jesus, beide in einem, kennen das Böse, sie sind mit ihm auf Du und Du. Das Böse regiert, wie in der Wüstenversuchung erzählt, die weltliche Macht. Gut und Böse ist das Weltkonstituierende. Damit bin ich beim heutigen Predigttext, bei den Anfängen. Was steht hierzu geschrieben? Was Jesus tut und erklärt ist neuer Wein in neuen Schläuchen. Was ist mit dem Wein in den alten Schläuchen?
Mit Hiob habe ich mich schon auseinandergesetzt, auch mit
Teilen der Schöpfungsgeschichte. Da alles schon geschrieben ist, muss eine Erklärung des Gut und Böse in der Schöpfungsgeschichte stecken. Was lehrt sie mich über das Gute und Böse, was ich bisher übersehen habe (1.Mose 2; 3)?
Ausgangspunkt ist der Garten Eden. E’den hat eine zwiefältige Bedeutung. Es heißt: Lust, Wonne, Lieblichkeit, Ergötzen, Wohlleben. Es heißt aber auch: Niederung, Ebene, Wüste. Das Hohe und das Niedrige, die Lust und die Wollust, beides ist in E’den angelegt. Gottes Garten enthält beides, das Gut und Böse, das Liebliche und das Teuflische.
Gott pflanzt in seinen Garten allerlei Bäume. Diese und jene.
Der Baum, das biblische Bild für den Menschen. Auch von Jesus oft als Bild in seinen Gleichnissen gebraucht, ebenso wie das pflanzen und weingärtnern, das Pflegen des Gartens. Gott hat den Menschen in seinen lieblichen Garten gesetzt, damit der Mensch diesen Garten pflege. Der Garten Eden, das Bild für Gottes Lieblichkeit und Wonne, Gottes Liebe, wenn man so will. Er ist gegen Morgen gepflanzt, Richtung Aufgang des Lichts. Gegen Morgen heißt auch, in das Morgen, in das Kommende, in das Zukünftige.
Es geht von Eden ein Strom aus, ein Lebensstrom, um den Garten, das Wohlleben, in das der Mensch gesetzt ist, zu nähren, zu wässern, damit er nicht verdurstet. Der Strom Gottes, der uns am Leben erhält. Der Lebensstrom teilt sich in vier Hauptwasser. Er geht in zwei verschiedene Länder. Es wohnen nicht alle im gleichen Land. Vier verschiedene Strömungen gibt es in Gottes Garten, zwei Länder, die Gottes Strom umfließt.
Die erste Strömung heißt Pi’son, d.h. die Freifließende, die Fessellose, die Überbordende. Dieser Strom umfasst das Land Hawi’la, das heißt das Sandland, das Land des wirbelnden Flugsandes, in dem es Gold, aber auch Onyx gibt und Bedellion, Baumharz, das wohlriechend, aber bitterschmeckend und durchsichtig ist. Die zweite Strömung heißt Gi’hon, das heißt der Durchbruch, das Hervorquellen des Wassers, der Ausbruch der Wasserquelle. Dieser Strom umfasst das Land Kusch, das Land der verbrannten Gesichter, des Durcheinanders, der Verwirrung. Der dritte Strom heißt Hid’dekel, der Pfeil, der dahinschießt, das pfeilschnelle Wasser. Der vierte Strom ist der Euphrat, das liebliche, süße Wasser, das überfließend und sehr breit ist.
Was sagt uns das? Es gibt zwei Länder in Gottes Garten, das gute Land und das Land der Verwirrung. Das Sandland, das immer in Bewegung ist, die Wüste mit ihren Oasen, das arme reiche Land, in dem es Gold gibt. Gold steht in der Bibel für den Glauben des Menschen an Gott und die Treue Gottes zu den Menschen. Aber es gibt dort auch Onyx, die Kralle, die Klaue, den Huf, den Teufel, den Satan, das Böse, den wertvollen Stein, in dem sich das Licht vielfältig bricht. Der Stein mit vielen bunten Adern, so vielgestaltig wie das Leben. Zwischen Gold und Onyx, steht Bdellium, das am Baum Anhaftende. Es sieht erdenfarben aus, wie in Stein gemeißelte Erde und gleichzeitig in Stein gemeißeltes ausgeschiedenes Exkrement. Leben des Menschen zwischen Eingang und Ausgang. Bdelliumharz ist falsche Myrrhe, das Harz des Balsambaumes, aromatisch und zugleich bitter. Balsam für die Wunden zwischen Gut und Böse, zwischen Gold und Onyx, zwischen Gottesglaube und Verführung zum Bösen.
Himmelsmanna (4.Mose 11,7), Himmelsnahrung zwischen Leben wie es ist. Himmelsnahrung, die Gott seinem Volk in der Wüste schickt. Zufall? Wohl kaum.
In der Mitte des Gartens Eden steht der Lebensbaum. Es gibt aber auch einen Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, von da’at, erlernbares und gleichzeitig vergebliches Wissen. Was der Mensch auch lernt, was Gott ihm sagt, es ist vergeblich, er tut es nicht, versteht es nicht, hält sich nicht daran. Jesus sagt später: ihr habt Augen zu sehen und seht nicht, ihr habt Ohren zu hören und hört nicht, ihr sollt entsprechend handeln und tut es nicht, selbst wenn ich es euch vorlebe. Das zeigt sich bei Adam und Eva bei der ersten Anfechtung des Bösen. Sie scheitern schon bei der ersten Herausforderung, bei der ersten Versuchung. Doch wieso?
Gott pflanzt allerlei Bäume in seinen Garten. Sie sind begehrenswert anzusehen und gut, im Hebräischen hamad. Auch hamad hat zwei Seiten: Es ist begehren, gelüsten, Gefallen finden, das auch Erfüllung findet, wie auch unerlaubtes Begehren, das Schaden anrichtet. Das Begehren ist es letzten Endes, das Adam und Eva ungehorsam werden lässt, das verführte Begehren. Ohne die Verführung, ohne jemanden der verführt, wären sie nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Hand gegen das auszustrecken, das sie ins Verderben führen wird. Nicht auf Gott zu hören, der gewarnt hat: Wenn du davon isst, bist du dem Tod verfallen, dem mehrfachen Tod: Den Toden, die ihr euch gegenseitig sterben lasst und – noch gravierender – dem Tod des Gehorsams, des Vertrauens, des Hörens auf das, was ich euch sage. Der Verführung zu folgen ist die Initialisierung von Gut und Böse. Von dem Augenblick an bekommt E’den seine Doppelbedeutung: das Liebliche, die Wonne, das Wohlleben bekommt seine Niedrigkeit. Das reine Gut gehört der Vergangenheit an, das Böse kommt in die verführte Welt.
Adam und Eva sind auf die List hereingefallen, auf die wohlformulierte Täuschung. Die Schlange sagte, wenn ihr davon esst, werden euch die Augen aufgetan und ihr wisst, was gut und böse ist, ihr werdet mitnichten sterben. Die Schlange hatte recht, Adam und Eva hat es aber nicht durchschaut: Es sind ihnen die Augen aufgegangen, sie haben erkannt, wie nackt und bloß sie sind, dass sie sich voreinander schämen müssen, haben ihre Verletzlichkeit, Hilflosigkeit und Schwäche erkannt. Was sie erkannt haben, hat ihnen nicht gefallen. Sie sind körperlich nicht gestorben, insofern hatte die Schlange auch hierin nicht die Unwahrheit gesagt. Sie hat nur so formuliert, dass sie das Begehren in den Menschen geweckt hat, ihnen ihre Zufriedenheit mit dem, was sie hatten – und es war reichlich – genommen hat. Ihnen suggeriert hat, das, was sie nicht haben, sei besser. Das Erwachen der Begierde, die Schwäche des Menschen in der Verführbarkeit, seine Blindheit und Taubheit gegenüber der Falschheit des Verführers, haben den Baum der Erkenntnis für alle Tage des Menschengeschlechts zu einem Baum der täuschenden Erkenntnis gemacht.
Gott hat sozusagen die Notbremse gezogen. Der Mensch hat angefangen, nicht auf sein Wort zu hören, er hat seine Hand dem Bösen gereicht, nach etwas ausgestreckt, das nicht gut für ihn ist, wider sein Wort. Er hat sich aufgeschwungen und wollte Gott gleich sein, die gleiche Erkenntnis haben wie Gott. Die Konsequenz. Gott nimmt die Wahlmöglichkeit in einem entscheidenden Punkt vom Menschen: Er verhindert, dass der Mensch sich nicht auch noch zum Herrscher über das Leben aufschwingt. Er schützt das ewige Gut vor dem Bösen. Als Schutzmaßnahme des Menschen vor sich selbst, um den Weg zum Baum des Lebens für den Menschen zu bewahren (1.Mose 3, 22-24). Das meint, wenn Jesus sagt: Und siehe, ich habe Satan wie ein Blitz aus dem Himmel fallen sehen (Luk 10, 18). Der Verführer, das Böse im Menschen, ist verbannt aus dem Garten des Wohlbefindens, es kann seine Verführungskünste nur noch in weltlichen Dingen zur Wirkung bringen, das ist ihm frei, aber nicht mehr in himmlischen. Das Böse kann das Gute in alle Ewigkeit nicht zum Einsturz bringen. Dafür hat Gott gesorgt.
Lieber Luther, Gott sichert uns mit diesem Rettungs-Akt den Zugang zu sich. Er hat Eden, den Ort seiner Liebe, für uns bewahrt, vor uns geschützt. Die Macht und die Reiche dieser Welt, die der Verführer unter seiner Kontrolle hat, sind von dieser Welt, hat er vor seine Tür gewiesen. Gottes Reich bleibt davon unberührt. Das zeigt uns die zweite Schöpfungsgeschichte. So bleibt uns die reine Quelle erhalten. Gott umfasst, wässert und nährt daraus diese Welt. Sein Lebensstrom, seine Wasserader umfasst uns. Jedoch, wem wir dienen, dem Verführer oder Gott allein, das liegt an jedem einzelnen. Jeder einzelne hat zu entscheiden, wem er nachfolgt. Selbstverantwortlich das in Kauf nehmend, was daraus folgt. Das meint Jesus, wenn er in verschiedenen Gleichnissen sagt, wer mir nachfolgt, darf nichts vom Weltlichen mitnehmen, sich vom Festhalten nicht leiten lassen, sondern muss tun, was Gott alleine dient. Er muss nackt und bloß, wie ein neugeborenes Kind, vor dem Baum des Guten und Bösen stehen, unmündig, unschuldig, ohne auf die Stimme der verschiedenen Verführungen zu hören. Die Weisen und Klugen, die vom Baum gegessen haben, verstehen das nicht. Wieso, ergibt sich aus obigem. Deshalb ist auch verständlich, wieso Jesus in diesen Jubel ausbricht: Ich preise dich Vater des Himmels und der Erde, dass du dies den Weisen und Klugen verborgen hast (Luk 10, 21).
Lieber Luther, gut und böse ist Teil des Menschsein. Das ist in der Schöpfung von vornherein angelegt. Gott hat aber vorgesorgt und vorgedacht. Das lindert mein Erschrecken vor den Menschen nicht, aber es macht mich sicher, auch angesichts allen Leides. Gott lässt uns die Wahl, wem oder was wir in unserem Begehren, in unserer Begierde, in unserer Gier, den Vorrang einräumen. Gott hat den Rückweg ins ewige Gut, in sein Leben, in seine Liebe für uns gesichert. Die Schöpfungsgeschichte zeugt von dieser göttlichen Konstitution. Sie hilft mir, das Gut und Böse des Menschen im göttlichen Gefüge einzuordnen und zu relativieren. Jesus wusste, das Böse regiert diese Welt, aber nur eine Zeitlang. Das Böse ist aus dem Himmel gefallen, damit der Weg für das Gute dorthin offensteht. Für den einen ist die Zeit da, für den anderen nicht, dauert noch eine Zeitlang, abhängig vom Strom, in dem er sich bewegt, abhängig vom Land, in das er zieht. Und immer gilt die Zusage: Ich will dich behüten, wohin du auch ziehst und will dich wieder herbringen in dies gute Land (1.Mose 28, 15).
Herzliche Grüße
Deborrah
Gefällt mir:
Like Wird geladen …