Verführer

Lieber Luther,

es hätte mich gewundert, wenn ich über den Predigttext vom heutigen Sonntag, Mt 4, 1-11, nicht schon einmal geschrieben hätte, habe ich ihn doch schon viele Male gelesen. Was ich vor zwei Jahren geschrieben habe, kann ich so stehen lassen.

Trotzdem will ich etwas hinzufügen. Weiterlesen „Verführer“

Pfarrer Latzel – Eine Mutmachgeschichte

Lieber Luther,

eigentlich dachte ich, ich würde heute mal wieder Zeit finden, über Grundlagen zu schreiben, da ich über den Predigttext von heute schon vor 2 Jahren geschrieben habe, über das Rosinenpicken. Das Thema ist aktueller denn je. Wieso? Obwohl mich die innerkirchlichen Streitigkeiten über Nichtigkeiten eher anöden und ich damit keine Zeit verschwende, bin ich über einen neuen Twitter-Follower über den Streit um den Bremer Pfarrer Olaf Latzel gestolpert. Zufall?

Also habe ich mich informiert. Gelesen, was so über ihn geschrieben wird, wie seine Kirche über ihn herfällt. Weiterlesen „Pfarrer Latzel – Eine Mutmachgeschichte“

Säen und Ernten

Lieber Luther,

Mariä Lichtmeß, der 2. Februar, ist vorbei und damit definitiv auch die Weihnachtszeit, 40 Tage nach Weihnachten. Früher hieß Maria Lichtmeß: Der Winterruhe ist vorbei, die Feldarbeit beginnt wieder, ausgefeiert, es muss wieder in die Hände gespuckt werden. Das Licht, die Sonne steigt, das Licht, das die Heiden erleuchten soll (Lk 2, 32). Jesu Licht im Jahreskreislauf: Es wird geboren, steigt, fällt, steigt in anderer Gestalt. Und das Ganze wieder von vorn an Weihnachten. Ein Kreislauf von Geburt – Leben – Fallen – Neues Leben, Jesu Lebenskreislauf, der Jahreskreislauf des Wortes, der Natur, des Menschen. Geboren werden – Leben – Sterben – Neues Leben. Die Natur der Natur Gottes. Das Wort wird geboren, gesät, fällt an den Weg, auf felsigen Boden, zwischen Dornengestrüpp oder auch auf gutes Land. Damit sind wir beim Predigttext dieser Woche (Lk 8, 5-15). Weiterlesen „Säen und Ernten“

Erste und Letzte – Groschen gefallen?

Lieber Luther,
die Letzten werden Erste sein und die Ersten Letzte. Darum geht es im Predigttext dieser Woche (Mt 20, 1- 16). Man hört quasi die Gutmenschen erschrecken.
Diejenigen, die denken, sie seien die Ersten. Die Ersten an der Macht, die selbsternannten Könige dieser Welt, die Religions- und Glaubenseifrigen, die Kirchenersten, diejenigen, mit vermeintlich selbstlosem Helfersyndrom. Alles umsonst? Kein Verdienst, keine Besserstellung? Keine Belohnung? Im Gegenteil, ich, der Gute, werde am Ende noch hintangestellt: Die Letzten werden die Ersten sein, die Ersten die Letzten. Verkehrte Welt also, nach der menschlichen Logik der eigenen Profitmaximierung, ob zugegeben oder nicht. Die gottlosen Ausbeuter, diejenigen, die die anderen treten, schlagen, töten, verelenden brauchen nur eine Stunde vor Torschluss noch auf den Zug aufspringen und sind sofort wieder diejenigen, die wieder auf der Gewinnerseite sind? Meinst du das wirklich so, lieber Gott? Ist das gerecht? Das menschliche Ego verweigert sich dem, empfindet es als Zumutung, gekränkte Eitelkeit, enttäuschtes persönliches Gerechtigkeitsempfinden. Innere Rebellion.
Was ist der Zusammenhang? Gleich in einer Reihe von Gleichnissen wird im Matthäusevangelium versucht, den Groschen zum Fallen zu bringen. In Mt 19, 30 steht diese Botschaft, die als Zumutung empfunden wird, schon einmal, etwas anders formuliert: Aber viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein. Genau darin besteht die Hoffnung, die Hoffnung, zu den Letzten zu gehören: Wahrlich ich sage euch, sagt Jesus, ihr, die ihr mir nachfolgt, werdet, wenn ihr in das neue Leben geboren werdet, mit des Menschen Sohn auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit sitzen. Wer Häuser, Brüder, Schwestern, Vater oder Mutter, Frau oder Kinder, all sein Habe verlässt, um meines Namens willen, der wird es hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben (Mt 19, 28-29). Lot und seine Frau lassen grüßen. Kapiert und nicht kapiert. Es geht um bedingungslose Nachfolge, darum, dass man Gott alleine folgt und sich nicht an Menschen und irdische Güter klammert. Es geht um Gottvertrauen, es geht darum, das alte gewinnstrebende Leben zu lassen und das neue Leben zu gewinnen.
Vater, Mutter, Frau und Kinder zugunsten der Nachfolge zu verlassen – bei Lukas heißt es gar hassen – da schluckt der ein oder andere, weil er denkt, das ist nicht möglich, weil er ist, wie der reiche Mann im Gleichnis vorher, der alle Gebote hält, aber seinen irdischen Güter höhere Priorität einräumt als der Nachfolge Jesu (Mt 19, 16-23). Oder im Gleichnis von der Ehescheidung, das wörtlich genommen wird, obwohl Jesus sagt: Das Wort fasst nicht jedermann, sondern denen es gegeben ist. Und nochmals mit Ausrufezeichen: Wer es fassen kann, der fasse es! Mt 19, 3-12).
Aber, vergebliche Liebesmühe. Gefasst wird es, aber falsch. Eine banale irdische Ehescheidung zu erfassen bedarf es keines höheren oder tieferen Verständnisses seit es Mann und Frau gibt. Der Groschen ist nicht gefallen, bis auf den heutigen Tag. Deshalb also ein weiterer Anlauf Jesu das Einfache in einem weiteren Bild begreiflich zu machen:
Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der Arbeiter gewinnen will, um in seinem Weinberg zu arbeiten. Nur wenn man einen Weinberg pflegt, bringt er auch Frucht. In Gottes Weinberg zu arbeiten, heißt mitzuhelfen, dass die Frucht an Gottes Weinstock auch gedeihen kann. Mitzuhelfen heißt, das geht aus dem Gleichnis Mt 19, 28-29 hervor, Jesus nachzufolgen, Gottes Wort zu dienen, den ewigen Bund mit ihm zu halten, keine Hurerei zu betreiben mit anderen Göttern (Mt 19, 3-12), den irdischen Gütern keine Priorität einzuräumen, wie der reiche Mann, der seine irdischen Gütern der Nachfolge vorzieht (Mt 19, 16-23).
Morgens, mittags, nachmittags versucht der Hausvater, der das himmlische Haus bewohnt, Menschen für die Arbeit in seinem Weinberg zu verpflichten. Irdische Reichtümer sind nicht zu gewinnen: Ein Groschen ist der symbolische Lohn. Bis kurz vor Sonnenuntergang, der elften Stunde, versucht der Hausvater, Arbeiter in seinem Weinberg zu sammeln. Und er hat Erfolg. Wieso steht ihr so nutzlos herum, fragt der Hausvater diejenigen, die er findet: Es hat uns niemand gedingt, sagen sie.
Es hat und niemand gedingt. Diese Antwort bricht einem fasst das Herz: Es hat sie niemand geworben für die Arbeit in Gottes Weinberg. Niemand war da, der sie auf Gottes Acker
hingewiesen hat, der ihnen erzählt hat, dass es da etwas zu tun und zu gewinnen gibt. Ihr armen Leute, denkt man, und möchte sie entschuldigend in die Arme nehmen, es tut mir Leid, dass ich säumig war und euch so lange warten ließ. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn kommt mir in den Sinn. Es ist das gleiche gemeint. Gott freut sich über jeden, der doch noch in seinen Weinberg gefunden hat, sei es früher oder später. Was zählt, ist: Ich folge dir nach und freue mich über den gerechten Lohn, den ich von dir empfangen werde.
Was ist aber der Lohn? Ein Groschen? Für alle gleichermaßen? Auch für diejenigen, die kurz vor Sonnenuntergang kommen? Bei vielen Arbeitern in Gottes Garten ist der Groschen nicht gefallen. Sie haben zwar brav in Gottes Weinberg gearbeitet, aber bitteschön, lieber Gott, dann will ich entsprechend belohnt werden, und besser als diejenigen, die einen Bruchteil der Mühsal für dich auf sich genommen haben. Gott wird die Rechnung für die Arbeit in seinem Acker präsentiert. Die Erwartungshaltung ist beträchtlich, der Neid auch. Wie hieß es doch gleich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sieht so Nächstenliebe aus? Deshalb heißt es: Viele sind berufen, aber wenige auserwählt. Es sind noch ein paar Hochzeitsgäste da, die keine Festtagskleider an haben. Zum schönen Schein arbeiten reicht nicht. Das Prinzip muss den ganzen Menschen durchdringen, Leib und Seele. Und wieder hört man Jesus seufzen: Sie haben es immer noch nicht kapiert.
Ihr habt nicht kapiert, dass euer aller Lebenstag einmal zu Ende geht und dass der Lohn, den es zu gewinnen gibt, das Neue Leben ist, in meinem Weinberg, in meiner Stadt, im neuen Jerusalem, in meinem Haus. Ihr habt Zeit, bis eure Sonne untergeht, ich gebe euch viele Chancen und Möglichkeiten, bis zuletzt. Ihr könnt euch für den Weinberg entscheiden oder die Dunkelheit, die Finsternis. Wenn eure Lebenssonne untergegangen ist und ihr eure Chance nicht genutzt habt, habt ihr das Neue Leben verspielt. EINEN Groschen könnt ihr gewinnen, EINEN, den EINEN, das EINS sein mit dem EINEN, keine irdischen Reichtümer, den EINEN Himmel könnt ihr gewinnen, den Stuhl der Herrlichkeit. Bist du nicht mit mir EINS geworden für nur einen Groschen? Oder bist du etwa ein falscher 50iger?
Eifersucht und Neid sind falsch am Platz. Der Hausherr sagt: Ich gebe euch was recht ist. Auf meine Gerechtigkeit kann jeder zählen. Das ist die Währung, auf die ihr setzen müsst. Was rechtet ihr mit mir? Ich übe Gerechtigkeit. Meint ihr, dass Gerechtigkeit ist, ungleich gerecht zu sein? Einer bekommt mehr Gerechtigkeit, mehr Groschen, als die anderen? Ihr schaut mich unwirsch an, weil ich gerecht und gütig bin?
Und wieder hört man Gott seufzen: Ihr habt es immer noch nicht kapiert, was wichtig ist. Der eine Groschen steht für die eine Gerechtigkeit, die Gott allen gleichermaßen zukommen lässt. Gottes Maßband misst alle nach der gleichen Skala. Das ewige Leben, das neue Leben nach Sonnenuntergang, am Ende der Zeit, kennt keinen Unterschied: Entweder du entscheidest dich für den Himmel oder für das ewige Nichts. Jeder, wirklich jeder, ist willkommen. Bis zur allerletzten Stunde ist die Tür zu meinem Weinberg offen, habt ihr die Möglichkeit zu den Letzten zu gehören. Die Letzten sind aber diejenigen, die im Neuen Leben ankommen, im Himmelreich, in Gottes Reich. Diejenigen, die vor mir Erste, Erstlinge sind, Erstlinge in der Nachfolge des Ersten – Jesus -, die werden auch am Ende die Letzten sein, das heißt die Übriggebliebenen, die im Neuen Leben ankommen, im Neuen Jerusalem.
Lieber Luther, die Ersten werden Letzte, Übriggebliebene, sein, und die Letzten diejenigen, die zu Gottes Ersten gezählt haben. Das heißt, dass, wer Gott im irdischen Leben hat, der hat ihn im fleischlichen Sterben und im Erwachen im Neuen Leben. Wahrlich, sagt Jesus, wer mir nachfolgt, wird das ewige Leben ererben. Meine Ersten werden meine Letzten sein. Lieber Luther, hoffen wir, dass der irdische Groschen für immer fallen wird.
Herzliche Grüße
Deborrah

Heilende Wort – Begeisterung

Ich möchte mal wieder eine Mutmachgeschichte erzählen, einfach, weil sie auch mir Mut macht und vielleicht auch anderen.
Im hektischen und stressigen Business Alltag ist nur wenig Zeit, um über Dinge abseits der geschäftlichen Dinge zu reden und einander näher kennenzulernen. Es geht selten über schnellen und oberflächlichen Austausch hinaus – keine Zeit. Jedoch spürt und sieht man den Druck, unter dem wir alle arbeiten, an jeder Ecke und in jedem Gesicht. Privater Druck kommt oft noch hinzu.
So habe ich mich mit einem Menschen aus meinem näheren Arbeitsumfeld zum Abendessen verabredet, um etwas mehr Ruhe zum Reden über das Geschäftliche hinaus zu haben. Ausnahmsweise mache ich schon etwas früher Feierabend.
Für französische Verhältnisse sind wir früh dran, wir sind die ersten im Lokal. Wir plaudern. Ich merke an, dass ich meine Disziplin etwas verloren habe, seit ich mein Bibelleseprojekt beendet habe. Bibelleseprojekt? Mein Gegenüber ist sehr interessiert. Ich fange an zu erzählen. Dass ich während eines Jahres die gesamte Bibel gelesen habe, wie fruchtbar und hilfreich das für mich war, dass es mich verändert hat, wie spannend es ist, die Geschichten der Bibel im Zusammenhang zu lesen, wieviel neue Horizonte sich mir geöffnet haben, …
Ich erzähle die Geschichte der zerstückelten Frau, erkläre die Bildhaftigkeit der Bibelsprache, die verschiedenen Ebenen, die man sich nach und nach erschließen muss. Die Bethlehemsgeschichte ist ein gutes Anschauungsbeispiel. Ich erkläre, dass in der Geschichte, so wie ich sie aufgeschrieben habe, die dritte Ebene fehlt. Sie hat sich mir erst ein paar Tage später erschlossen und seither frage ich mich, wieso ich das für mich jetzt Offensichtliche nicht schon ein paar Tage vorher gesehen habe. Das Verständnis muss sich erst öffnen, die Türen dir erst aufgetan werden. Du musst Geduld haben. Es dauert Jahre, es geht immer weiter, bis du am Ende der Zeit angekommen bist. Ich erzähle noch ein paar dieser spannenden Bibelgeschichten.
Mein Gegenüber ist fasziniert, auch von meiner Begeisterung. Irgendwann bringt der Kellner diskret die Rechnung. Wir schauen uns um. Sind wir noch oder schon wieder allein im Lokal? Seit vier Stunden erzähle ich von der Faszination der Bibel. Ich nehme mein Smartphone und zeige die Bibel App, mit der ich gelesen habe und auch, dass es eine französische Variante gibt. Wir schauen nach. Die Lutherübersetzung gibt es natürlich nicht auf Französisch. Ich zeige die Bibellesepläne, auch den von Robert Roberts, den ich gelesen habe. Es ist wichtig, die Bibelübersetzung, mit der man liest, sorgsam zu wählen. Sie muss zu einem passen. Es macht einen Unterschied. Wow, sagt mein Gegenüber, das eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten, von denen ich bisher gar nichts wusste. Christlicher Glaube war bisher nicht sein Thema. Es ist spät, wir gehen. Wir haben nicht ein einziges Wort über geschäftliche Dinge verloren.
Am anderen Morgen im Büro. Hast du 5 Minuten? Ja, 5 Minuten habe ich. Dieser Mensch kommt in mein Büro und ich schaue ihm ins Gesicht. Ich bin sprachlos. Als ob ich einen neuen Menschen sehe. Auf dem Gesicht Ruhe und Frieden. Kein Vergleich zur Bedrängnis am Tag vorher. Noch in der Nacht hat dieser Mensch die Bibelapp installiert, einen Account kreiert, angefangen zu lesen und hat die heilende Wirkung der Worte, des Textes gespürt, obwohl er ganz am Anfang steht.
Noch nie zuvor ist mir so vor Augen gestanden, was es heißt, einen neuen Menschen anzuziehen. Auch, dass du gar nichts tun musst, außer die Tür aufzumachen, bereit sein, die heilende Wirkung der Bibelworte in dich einfließen zu lassen. Für mich ist das ein Wunder, ich kann es nicht anders bezeichnen. Diese unglaubliche Veränderung dieses Menschen innerhalb eines halben Tages. Es macht mir Mut, von der heilenden Wirkung der Bibel zu erzählen und sollte denen Mut machen, die erst am Anfang stehen, sich die Bibel selbst zu erschließen. Die Tür aufzumachen reicht und man wird weiter geleitet, so wie es zu einem passt. Einfach leiten lassen.
Einen weiteren Tag später: Hast du 5 Minuten? Ich kenne einen Menschen, der katholisch ist und nicht glücklich damit. Ich habe ihm erzählt, was ich von dir erfahren habe und dass bei den Evangelischen das alles freier ist. Wärst du bereit, mit diesem Menschen zu reden? Am besten gleich. Spricht er deutsch? Nein. Englisch? Ein bisschen … Ok, das wird schwieriger. Weißt du was: ich lade euch Zwei mal in Ruhe zu mir zum Abendessen ein, dann haben wir die Zeit … So machen wir es.
Wunderbarer Wunderbar!
Ich werde davon erzählen müssen, dass man die Religion – egal ob katholisch oder evangelisch oder jüdisch – ablegen muss, und das Wort anziehen muss, dass man ganz auf die Wunderkraft, die heilende Kraft des Gotteswortes in der Bibel vertrauen kann. Mitten im stressigen Business-Alltag. Es ist mir gerade wieder vor Augen geführt worden. Das festigt auch mich und macht auch mir Mut.
Grünes Gras kann unter jeder kalten Decke wachsen.

Klarheit

Lieber Luther,
der Schlüssel zu dem Predigttext dieser Woche, die Verklärung Jesu in der Version bei Matthäus (Mt 17, 1-9) steht eigentlich in der Bibel schon ein Kapitel vorher:
Denn es wird geschehen, dass des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln (Mt 16, 27).
Nach sechs Tagen nahm Jesus die 3 Jünger, die ihm am Nächsten waren – Petrus, Jakobus und Johannes – mit sich auf einen hohen Berg. Immer wieder kommt der „hohe Berg“ als Bild in der Bibel vor. Gott wohnt in der Höhe. Mose hat mit Gott auf einem hohen Berg geredet, Elia ist vor seinen Verfolgern ins Gebirge geflohen, ebenso David. Wenn in der Bibel von Abgöttern die Rede ist, wird meistens gesagt: Ihr betet auf den Höhen zu Baal & Co., tut sie ab von den Höhen, denn – das ist implizit gemeint – allein Gott ist in der Höhe, Gott ist die Höhe. Dieser Platz gehört nur ihm. Gott kam vom Mittag und der Heilige vom Gebirge Pharan. Seines Lobes war der Himmel voll, und seiner Ehre war die Erde voll. Sein Glanz war wie ein Licht; Strahlen gingen aus von seinen Händen; darin war verborgen seine Macht (Hab 3, 3)
Jesus stieg nach sechs Tagen mit den Jüngern auf den Berg, auf dem Gott ihn mit seinem Licht erleuchtete. Auch auf Moses Angesicht hat Gott seinen Glanz gelegt (2.Mose 34, 29), auch nachdem er auf einem hohen Berg, dem Berg Sinai, mit ihm geredet und ihm sein Wort gegeben hat: Den hört, diese beiden hört. Beides beschreibt einen hohen göttlichen Legitimationsakt. Paulus Polemik gegen Mose ist völlig unberechtigt, undemütig, arrogant und selbstherrlich angesichts solch göttlich-herrlichem Geschehen (2.Kor 3, 13-14), Jesus würde Mose, den Freund Gottes (2.Mo 33,11) nie so abgewertet haben. Nicht ein einziges abwertendes Wort ist von ihm über Mose übermittelt. Aber das nur am Rande.
Über die Zahl sechs habe ich dir, lieber Luther, erst kürzlich geschrieben, ich brauche hier nicht alles wiederholen. Dass das weiße Kleid auf Jesus nach sechs Tagen fällt ist konsistent: Die Sieben steht für die Vollendung, für das reine weiße Kleid, das denen angetan wird, die Gott in seinem neuen Jerusalem sammelt: Und der siebte Engel posaunte: und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unsers HERRN und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb 11, 15). Jesus zieht in die Heilige Stadt ein, in das Neue Jerusalem. Deshalb war es so hell. Als er später in das alte Jerusalem einzog, war es nur laut. Er hat seine Meisterprüfung bestanden! Das heißt „Verklärung“. Er zieht in das Neue Jerusalem ein und wir, ja wir sind aufgefordert, nachzufolgen, irgendwann, wenn unsere Zeit da ist. Er ist derjenige, der uns als Erster vorangeht, uns zeigt, was auch für uns sein wird.
Die Jünger sehen Gottes Herrlichkeit nicht, sie sind noch nicht im Neuen Jerusalem angekommen. Sie sehen nur den Abglanz. Sie sind voll des Schlafes (Lk 9, 32), wie später in Gethsemane. Was geschieht, ist für die Jünger und Jesu Nachfolger nicht in Jesu Klarheit zu sehen, hören und zu erfahren.
Hier ist Wohlsein, soviel begreifen sie, und wollen für Mose, Elia und Jesus je eine Hütte bauen. Intuitiv spüren sie, dass sie hier an etwas Großartigem teilhaftig werden, an etwas, das ihr Verstehen übersteigt. Sie spüren: Hier ist Wohlsein, hier will ich bleiben, hier will ich meine Wohnung und mein Haus bauen.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein (Offb 21, 3). Gott hat seine Hütte in Jesus aufgerichtet: Eine lichte Wolke überschattet sie und eine Stimme kommt aus der Wolke, die sagt: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören! (Mt 17,5). Eine andere Hütte muss nicht aufgerichtet werden. Das ist mein lieber Sohn: Das ist die Hütte, das ist die Wohnung.
Die Jünger erschraken, fielen auf ihr Angesicht. Gottes Herrlichkeit übersteigt jedes menschliche Verstehen, das Unbegreifliche schürt Ängste. Jesus rührte sie an und sprach: Fürchtet euch nicht. … und siehe, es kam einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu dem Alten und ward vor ihn gebracht. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und sein Königreich hat kein Ende. Ich, Daniel, entsetzte mich davor, und solches Gesicht erschreckte mich (Dan 7, 13-15). Der Mensch kann sich Gott nur begrenzt aussetzen.
Das ist mein Lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe: Und als ich mich umwandte sah ich .. einen, der war eines Menschen Sohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und begürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee … und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie ein Toter; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! (Offb 1, 12-17).
Er rührte ihn an und sage: Fürchte dich nicht! Sein Kleid war weiß wie Schnee, dass kein Färber auf Erden kann so weiß machen (Mk 9, 3). Fürchtet euch nicht! Denn: Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, sei von dir. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben; und sie haben es angenommen und erkannt wahrhaftig, dass sie glauben, dass du mich gesandt hast. Ich bitte nicht für die Welt, sondern für die, die mir gegeben sind; denn sie sind dein. Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verklärt. Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt (Joh 17, 7-11).
Auch bei Jesu Taufe kam dieses Wort aus dem Himmel: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe (Mt 3, 13). Seither war aber schon vieles geschehen, Jesus hat gelehrt, Gottes Wort durch Jesus war geschehen, Jesu Meisterschaft des Wortes, deshalb heißt es jetzt: Den sollt ihr hören, den Prediger!
Lieber Luther, was zeigt uns das alles? Hört! Hört Jesus zu. Folgt nach, werdet zur Hütte, werdet zur Wohnung Gottes wie Jesus. Wo Gottes Wohlgefallen ist, ist unser Wohlsein. Selbst wenn ihr es nicht verstehen, unverständig seid wie die Jünger. Lasst euch anrühren von Jesus, fürchtet euch nicht, hört den, der euch vorangegangen ist, folgt nach, strebt nach dem weißen Kleid. Hört den Prediger, was er gesagt hat, führt zur Klarheit, verklart ihn in uns.  Das Neue Jerusalem ist dort, wo Jesus mit seiner Klarheit in uns ist, wo er in uns verklärt ist. Lasst euch von Jesus anrühren!
Herzliche Grüße
Deborrah

Hochzeitsgesellschaft

Lieber Luther,
Ich muss noch schnell einen Nachklapp zur Hochzeit von Kanaan machen.  Was hat es mit der Hochzeit auf sich?
Die Hochzeit ist ein gängiges Bild in der Bibel, genauso wie Braut und Bräutigam. Die Hochzeit ist eine hohe Zeit. Ehre sei Gott in der Höhe. Gott ist in der Höhe, wir in den Niederungen unseres Menschseins. Wir sind in Ka’naan. Die hohe Zeit wird kommen, die Hoch-Zeit, wenn wir bereit sind, unsere Niederungen zu verlassen, uns zu erheben aus unserem Elend und unserem Dreck, wenn wir bereit sind, Gottes weißes Kleid anzuziehen. Auch wir sind eingeladen. Jedoch, die geladenen Gäste wollen noch nicht kommen, sie wertschätzen die Einladung nicht und von denen, die kommen, hat nicht jeder ein reines Kleid an (Mt 22, 2-11) oder sie wollen sich obenan setzen, auf den Ehrenplatz. Aber: Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden (Lk 14, 8-11).
Aus der Niedrigkeit erwächst die Höhe. Ka’naan ist die Niederung. Meine Stunde ist noch nicht da, sagt Jesus. Aber, sie wird kommen: Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann. Sie hatte die Herrlichkeit Gottes. Ihre Tore werden nicht verschlossen sein und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der Heiden in sie bringen  (Offb 21, 2,11-27). Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst. (Offenb 22, 17).  Denn: Tochter Zion, so wahr ich lebe, sprich der HERR, du sollst mit deinen Zerbrechern und Verstörern wie mit einem Schmuck angetan werden und wirst sie um dich legen wie eine Braut ihren Schmuck (Jes 49, 18).
Ihr aber sollt Priester des HERRN heißen, und man wird euch Diener unseres Gottes nennen, und ihr werdet der Heiden Güter essen und ihrer Herrlichkeit euch rühmen. Denn ich bin der HERR, der das Rechte liebt, und hasse räuberische Brandopfer; und will schaffen, dass ihr Lohn soll gewiss sein, und einen ewigen Bund will ich mit ihnen machen, denn sie sind gesegnet vom HERRN. Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam, mit priesterlichem Schmuck geziert, und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt (Jes 61, 6-10). Der die Braut hat, ist der Bräutigam (Joh 3, 29).
Die Hoch-Zeit, die hohe Zeit, die Zeit, in der Gott sein Volk im neuen Jerusalem sammelt, ist noch nicht da. Die Braut zickt noch und wird noch ein Weilchen zicken. Alles ist für die Hoch-Zeit vorbereitet.  Der Wein ausgeschenkt, das Lamm und Gott hat zum Abendmahl eingeladen, die Gäste sind aber noch nicht soweit. Sie sind anderweitig beschäftigt, trinken Wasser und halten es für Wein, sind trunken von fehlgeleitetem Ehrgeiz, beten auf den Höhen falsche Götter an. Der Bräutigam wartet vergebens:
Oben auf den Bergen opfern sie, und auf den Hügeln räuchern sie, unter den Eichen, Linden und Buchen, weil sie guten Schatten geben. Darum werden eure Töchter auch zu Huren und eure Bräute zu Ehebrecherinnen werden. Und ich will’s auch nicht wehren, wenn eure Töchter und Bräute geschändet werden, weil ihr einen anderen Gottesdienst anrichtet mit den Huren und opfert mit den Bübinnen. Denn das törichte Volk will geschlagen sein (Hos 4: 13-14). Der Bund mit Gott ist schon vor der Hochzeit gebrochen: Vergisst doch eine Jungfrau ihres Schmuckes nicht, noch eine Braut ihres Schleiers; aber mein Volk vergisst mein ewiglich (Jer 2, 32).
Gott lässt gewähren und wartet. So spricht der HERR: Ich gedenke deiner, weil du einmal eine freundliche, junge Dirne und eine liebe Braut warst, da du mir folgtest in der Wüste, in das Land, da man nichts sät (Jer 2, 2). Ich gedenke meines Bundes mit dir, gedenke auch du deines Bundes mit mir. Ich bleibe bei dir, du siehst aber in deiner Fülle meine Fülle nicht. Deshalb spricht Gott: Siehe, ich will an diesem Ort wegnehmen vor euren Augen und eurem Leben die Stimme der Freude und Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut (Jer 16, 9). Denn, wenn Lieb bei Lieb ist, weiß Lieb nicht, wie lieb Lieb ist.
Der Bräutigam gibt nicht auf, er wird das Gefängnis der in sich selbst Gefangenen wenden und man wird hören ein Geschrei voll Freude und Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut und die Stimme derjenigen, die sagen: Danket dem HERRN, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich (Jer 33, 11).
Man soll dich, Geliebte, nicht mehr die Verlassene noch dein Land eine Verwüstung heißen; sondern du sollst „Meine Lust an ihr“ und dein Land „Liebes Weib“ heißen: Denn der HERR hat Lust an dir und dein Land hat einen lieben Mann. Denn wie ein Mann ein Weib liebhat, so werden dich deine Kinder liebhaben; und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen (Jes 62, 4-5).
Gott hält seinen Treuebund unverbrüchlich, wie ehebrecherisch sein Volk auch ist. Gottes Liebe übersteigt die Untreue seiner Geliebten. Er wartet, bis wir, seine Geliebten, bereit sind, unsere Niederungen zu verlassen, bereit sind für die Hohe Zeit mit ihm, der Hoch-Zeit, der unverbrüchlichen Gemeinschaft mit ihm und dem Lamm, eine einige Hoch-Zeit- Gesellschaft werden, wir unseren Treueeid halten, wahr und gerecht werden, sein weißes Kleid anziehen. Sie haben nicht Wein, sagt seine Mutter. Meine Stunde ist noch nicht gekommen, sagt Jesus. Er wartet.
Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm!
Herzliche Grüße
Deborrah

Wein-Geist-Schöpfer

Lieber Luther,
über die Hochzeit von Kanaan habe ich dir schon einmal vor zwei Jahren geschrieben. Verstehen entwickelt sich und so sind mir beim Lesen des Textes Dinge aufgefallen, die ich vor zwei Jahren noch nicht verstanden habe. Ich habe viel zu sehr an der Oberfläche gelesen. Ich beschränke mich deshalb auf die Teile, die ich bisher übersehen habe. Es geht um die alte und neue Weise der Reinigung, es geht um Wasser und Wein, um den Speisemeister, um die Hochzeit, den Bräutigam und vor allem um die richtige Reihenfolge.
Ausgangspunkt sind 6 steinerne Wasserkrüge, gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung.  6 Tage hat Gott gearbeitet, um das Leben in die Welt zu setzen, jeden Tag Leben geschöpft. 66 Seelen flüchteten mit Jakob nach Ägypten (1.Mo 46, 26). Nach 6 Tagen nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes, führte sie auf einen Berg und eine Stimme aus derWolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören (Mt 17, 1-5). Jesus kam, als er müde war von der Reise, um die 6. Stunde am Jakobsbrunnen an (Joh 4, 6). In der 6. Stunde wurde die Welt finster, als Jesus am Kreuz hing (Lk 23, 44). Die Zahl 6 markiert das Ende und gleichzeitig einen neuen Anfang. Es ist der Vorabend zum 7.Tag, dem Tag der Vollendung.  Zuvor stehen aber 3 Sechsen: 666, der Inbegriff des Bösen, des Anfechters. Dessen Anfechtung muss erst durchlitten werden, ehe man zur Vollendung durchbricht. Auch Jesus musste das. Er schwitzte Blut und Wasser bis er angesichts seiner Leiden sagen konnte: Vater, nach deinem Willen.
Es standen 6 Wasserkrüge bereit in verschiedenem Maß, gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung. Jesus verändert den Inhalt der Krüge. Er reinigt anders als bisher gereinigt wurde. Er füllt die Krüge mit seinem Wein. Oder:  Niemand fasst Most in alte Schläuche; sonst zerreißt der Most die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man soll Most in neue Schläuche fassen (Mk 2,22). Beides meint das gleiche: Jesus bringt etwas Neues. Bei Johannes füllt er das Neue in alte rituelle Krüge, bei Markus in neue Schläuche. Das heißt: Egal ob in alter Form oder neuer Form, der Inhalt machts, der Wein.
Wein gehört von alters her zu den heiligen Speisen, wie Semmelmehl, Öl und Weihrauch (1. Chr 9 , 29). Jeremia beweint, dass die Säuglinge und Unmündigen auf den Gassen verschmachten wie die tödlich Verwundeten, dass sie in den Armen ihrer Mutter  den Geist aufgeben, sie fragend, wo ist Brot und Wein? (KL 2, 11-12). Ja, Vater und Mutter, wo ist Brot und Wein, wieso habt ihr das Land so zugerichtet, dass wir im Elend sind? Wieso enthaltet ihr uns Gottes Geist vor?
Ohne Gottes  Brot und Wein verhungert der Mensch. Jesus sagt, ich bin das Brot. Der Wein steht für Gottes Geist. Wein-Geist. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist vergessen worden. Deshalb teilt Jesus Brot und Wein mit seinen Jüngern im letzten Abendmahl:  Das Brot steht für ihn, der Wein für den Geist Gottes. Das tut, damit ihr nicht vergesst, was ich zu euch gesagt habe.  Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, sagt Jesus, bringt Frucht an meinem Weinstock, sonst wird euch der Wein knapp. Wenn die Zeit des Kelterns kommt, wird sich zeigen, ob ihr guten oder sauren Wein bringt: Jesus wurde am Kreuz mit saurem Wein, mit Essig, getränkt.
Der barmherzige Samariter gießt Öl und Wein in die Wunde dessen, der von Jerusalem ausging und unter die Mörder fiel (Luk 10, 34). (Salb-)Öl und Wein heilen alle Wunden, wo immer man sie einsetzt, auch wenn der Wein zunächst nach saurem Wein schmeckt. Gottes saurer Wein klärt uns, verhilft uns zum richtigen Geschmack, verhindert, dass wir uns im Geschmack irren. Essig hat große Reinigungskraft, das weiß jeder, der putzt.
So sage nun dies Wort: So spricht der HERR, der Gott Israels: Es sollen alle Krüge mit Wein gefüllt werden. So werden sie zu dir sagen: Wer weiß das nicht, dass man alle Krüge mit Wein füllen soll? Siehe, ich will alle, die in diesem Lande wohnen, die Könige, die auf dem Stuhl Davids sitzen, die Priester und Propheten und alle Einwohner zu Jerusalem füllen, dass sie trunken werden sollen und will sie zerstreuen, weder schonen noch übersehen, noch barmherzig sein über ihrem Verderben. So hört nun und merket auf und trotzt nicht; denn der HERR hat’s geredet (Jer 13,  12-15). Auch so kann die Fülle von Gottes Wort klingen. Gott will in alle Krüge Wein füllen. Ihr musst das nur erst kapieren. In der Fülle, versteht ihr das nie. Deshalb fürchtet euch nicht. Gottes Geist ist mit euch, auch wenn der Wein gerade sauer schmeckt. Wenn ihr müde seid und in der Wüste nicht mehr weiter wisst, wird Gott da sein und euch seinen rettenden Weinkelch reichen, wenn ihr ihn nehmt, wird er euch mit seinem Geist erfüllen (2.Sam 16, 2). Er lässt euch nicht verdursten, wenn ihr nicht freiwillig verdurstet.
Die sechs rituellen Wasserkrüge stehen für den Menschen. Der Mensch, als Gefäß, von Gott dafür gedacht, Gottes Wort auf- und anzunehmen, angefüllt zu werden mit Gottes süßem oder saurem Wein, beiderlei Gottes Geist. Jesus hat die Macht, das Wasser in den Krügen zu wandeln, allein mit seinem Wort, er kann mit Gottes süßem Wein erfüllen. Nicht alle Krüge haben die gleiche Größe. Die einen sind größer dimensioniert, es gibt welche, die weniger Inhalt aufnehmen können und maßlose. Sie haben keinerlei Krug. Das Quantum, das jeder bereitstellt, ist unterschiedlich.
Jesus sagt: Schöpft! Er sagt es zu den Dienern, seinen Dienern: schöpft von Gottes Geist, schöpft Gottes Wort krügeweise in euch hinein und behaltet es. Werdet Behältnisse meines Wortes. Schöpft von mir. Ich mache euch selbst zu Behältnissen eurer Reinigung. Ich reinige mit Wein, nicht mit Wasser. Mein Wort in euch. Wenn ihr von meinem Wasser schöpft, werde ich daraus Wein machen. Wir sind angesprochen. Schöpft! Gott hat das Leben für euch geschöpft, schöpft mein Wasser, dann schöpfe ich euch für Gottes Geist. Ich bringe guten Wein, auch wenn er nach Wasser aussieht. Jesus, der Gottes-Geist-Schöpfer.
Am Speisemeister geht das alles vorbei. Er versteht in seiner abgehobenen Position nicht, wo dieser besondere Wein herkommt. Die Diener wissen es. Der Speisemeister ist zwar formal Meister seines Faches, der Chef, aber trotzdem ahnungslos und ohne Wissen. Er soll den Wein servieren, ihn zu den Hochzeitsgästen bringen, die davon kosten sollen, versteht aber gar nichts. Anstatt sich zu wundern, wo der Wein herkommt und nachzufragen und sich zu bedanken, ruft er den Bräutigam und belehrt ihn: Den guten Wein serviert man zuerst und den geringeren, wenn die Gäste betrunken sind, dann merken sie nicht, dass du sie mit billigem Fusel (oder Gefasel) abfüllst.
Du hast den guten Wein bisher behalten, beschwert sich der Speisemeister beim Bräutigam. Heißt: lieber Gott, du handelst in der falschen Reihenfolge. Erst kommt das Gute. Wenn die Menschen dann vom Guten berauscht sind, merken sie nichts mehr und wissen nicht, woher der Kater kommt, wenn sie am Morgen aufwachen. Sie bemerken die Moggelpackung gar nicht, wissen nicht, dass ich der böse Bube war, der sie mit Billigem krank gemacht hat, nachdem ich ihnen mit ein paar guten Schlucken aus der Pulle die Sinne vernebelt habe.  Meine Reihenfolge ist genau umgekehrt wie deine, lieber Bräutigam. Das ist 3 mal die 6: 666, das ist der Versucher, der so handelt und spricht.
Gott lässt sich die Reihenfolge nicht vorschreiben. Erst muss man sich der Mühe des Schöpfens unterziehen und dann vertrauen, dass Gott aus dem geschöpften Wasser Wein macht. Gottes Geist wandelt Wasser in Wein. In dem Geist hat auch Jesus das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern gefeiert. Vergesst es ja nicht. Wein ohne Geist, ist nichts als Wasser mit Beigeschmack. Der Geist macht den Unterschied. Jesus macht den Unterschied. Insofern hatte der Speisemeister recht, wenn er zum Bräutigam sagt: Du hast den guten Wein bisher behalten. Ja, aber nun ist er in der Welt. Der gute Wein ist da. Jesus bringt den guten Wein. Er kommt und bringt den Wein wann er will, er lässt sich das von keinem Speisemeister der Welt vorschreiben, auch von keiner Mutter. Die Hochzeitsordnung bestimmt er, nicht der Zermonienmeister.
Auf welcher Hochzeit befinden wir uns eigentlich? Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit macht (Mt 22, 2-3). Nur die klugen Jungfrauen sind bereit, wenn der Bräutigam klopft, um mit ihm Hochzeit zu machen (Mt 25, 10). Das ist wie mit dem Schöpfen: Gott schöpft uns, wir schöpfen Wasser, Jesu Wort schöpft uns für Gott. Am Ende eine einig geschöpfte Hochzeitsgesellschaft.
Jesus ist bereitet, er ist auf der Hochzeit, bereit Wein in Wasser zu verwandeln. Was er euch sagt, das tut, ermahnt Jesu Mutter. Die Diener befolgen den Rat und Wasser wird zu Wein. Wir befinden uns in Ka’naan, d.h. der Niederung und dem Ort der Demut. Demütig sind aber nur die Diener, die dem Wort Jesu folgen, demütig ist auch Jesus in den Niederungen dieser Welt. Allein der Speisemeister ist unwissend, anmaßend und überheblich, sich seines Status bewusst und doch nur Statist.
Der Bräutigam, lieber Luther, nimmt es zur Kenntnis, er antwortet dem Speisemeister nicht. Auch Jesus, der Wein-Geist-Schöpfer nicht. Beredtes Schweigen. Noch ein Schlückchen Wein kann nicht schaden.
Herzliche Grüße
Deborrah

Bibelfrucht

Manche sagen, es ist unmöglich. Aber doch, es ist möglich, ich habe es ausprobiert. Ich habe die Bibel in einem Jahr gelesen. Mit App und nach festem Leseplan. Im Durchschnitt habe ich sicher mindestens 2 Stunden pro Tag für das Bibelstudium aufgewendet, wahrscheinlich mehr.
 Ich möchte es nicht missen. Dieses Jahr mit Gottes Wort gehört für mich zum Wertvollsten und Kostbarsten, zum Besten in meinem Leben, was mir widerfahren ist. Es gibt nichts anderes, was mir über ein Jahr hinweg Tag für Tag so gut getan hätte.
 Als ich angefangen habe, dachte ich, die Zeit würde mir lang werden, 1 Jahr lang im Durchschnitt 4 Bibelkapitel durcharbeiten, Tag für Tag. Das sieht erst einmal aus, wie eine große Belastung. Ist es aber nicht. Bibelstudium ist kurzweilig, inspirierend, beruhigend, energetisierend, erholend, es macht leicht.
 Natürlich heißt so ein Lesepensum neben dem normalen Leben her auch, dass man Prioritäten setzen muss. Liegengeblieben ist deshalb zum Beispiel meine Weihnachtspost, weil ich die letzten 3 Wochen vor Weihnachten aufholen musste. Wer betroffen ist, möge es mir verzeihen. Bis dahin hatte ich täglich gelesen. Auch das bedarf einiger Disziplin, abends um 22.00 oder später sich noch konzentriert ans Bibelstudium zu begeben, nach 12 Stunden oder mehr Arbeit. Die Wochen vor Weihnachten hat mein Arbeitspensum und meine Erschöpfung abends das nicht mehr zugelassen. Lesen, nur damit gelesen ist, ist fruchtlos. Es kommt ja die Weihnachtspause …
 Ich möchte über vieles schreiben, was mir durch den Kopf gegangen ist, es drängt förmlich aus mir heraus. Leider habe ich die Zeit nicht gefunden. Das bedauere ich sehr. Es ist für mich selbst ein persönlicher Verlust, dass diesen vielen guten Gedanken erst einmal wieder in irgendeiner Gehirnschublade abgelegt sind und verstauben. Damit nicht alles verloren ist, habe ich Mindmaps angelegt und die gesamte Bibel selbst verstichwortet, so dass es mir leichter fällt, bei Bedarf wieder zu den Zusammenhängen zu finden.
So bin ich 
froh, dass ich es geschafft habe. 
froh, dass ich das ganze Jahr für mich persönlich wertvoll gelesen habe. 
froh, über all das, was ich erfahren durfte, 
froh und dankbar um jedes Wort,
froh, dass ich nun jedes Wort kenne, wenn auch vielleicht nicht jedes verstehe,
froh, dass das Verstehen des Wortes sich entwickelt, man deshalb nie am Ende ist, es immer weiter geht, weiter vorwärts im Verstehen, bis zum Tag, an dem ich vor Gott stehe,
froh um die Bereicherung,
froh, dass ich gelernt habe, wie fruchtbar Bibellesen ist.
Gott ist mir ein gutes Stück näher gerückt. Ein angemessenes Dankeswort kann ich hier dafür nicht finden, jedes Wort wäre zu armselig.
 Was mach ich jetzt, ohne meinen täglichen Bibelfahrplan? Falle ich in ein Loch? Ich glaube nicht. Ich werde nicht aufhören, in der Bibel zu lesen, vielleicht nicht mehr so systematisch und vor allem nicht mehr so umfangreich, wie das vergangene Jahr. Das würde ich auch gar nicht mehr schaffen. Aber ich werde sicher einen neuen Plan fassen, wenngleich der erst in mir reifen muss. Es gibt noch die Apogryphen, oder – was mich auch reizen würde – die Bibel rückwärts aufrollen, von der Offenbarung her. Das ist sicher auch eine Jahresbeschäftigung. Mir fällt noch viel ein und ich bin sicher, es wird mir keinen Augenblick langweilig.
 Ich habe das alles erzählt, um zu ermuntern, es selbst mit der Bibel zu versuchen. Selbst zu entdecken, wir fruchtbar sie ist. Sich nicht abschrecken zu lassen. Sich nicht blenden zu lassen vom oberflächlichen Geschehen, sondern den Sinn dahinter zu suchen. Die Bibel ist kein Historiendokument, sondern ein Glaubensdokument, das Glaubensbotschaften transportiert, nicht – wie manche denken – ein Tatsachenbericht von Mord und Totschlag. Die Botschaft liegt im Sinn dahinter. Und sie ist aktuell.
Rein technisch ist mit einer Bibel-App das Lesen viel angenehmer als mit einer gedruckten Bibel. Ich will ermuntern, im Zusammenhang zu lesen, nicht sätzchenweise. Aus dem Zusammenhang genommene Einzelverse lassen den Zusammenhang nicht erschließen. Ich will ermuntern, sich für die Erfahrung zu öffnen, was es heißt, jeden Tag Gottes Wort in sich einfließen zu lassen. Es geht, ich habe es ausprobiert. Auch, wenn man viel Arbeit hat oder gerade dann. Es ist eine unendlich gute und heilende Erfahrung.

Wort – Erfahrungen

Lieber Luther,

Geschafft! Ich habe tatsächlich in einem Jahr die gesamte Bibel gelesen, das Neue Testament zweimal, Wort für Wort, mit zwei Tagen Verzug. Schon vor zwei Tagen hat mich das mit großer Euphorie erfüllt, wie zwei Schritte bis Weihnachten.

Gelesen habe ich nach einem festen Bibelleseplan, mit einer Bibel App, das macht einen örtlich unabhängig. Ich habe nach dem Leseplan von Robert Roberts gelesen, im Durchschnitt jeden Tag vier Bibelkapitel aus dem Alten und Neuen Testament.

Für den Leseplan bin ich voller Bewunderung. Unglaublich, wie sich die einzelnen Tageskapitel aus verschiedenen Bibelbüchern thematisch zusammengefügt haben, mit dem absoluten Highlight am Ende, den 10 prophetischen Büchern des Alten Testamentes, Hiob und der Offenbarung. Es ist wie der krönende Abschluss, die Zusammenfassung und die Gesamtsicht. Man kann nochmals anhand dieser Bücher nachprüfen, ob – was da steht – mit dem übereinstimmt, was man selbst verstanden hat. Und manches versteht man auch erst ganz am Ende, wenn es einem dann wie Schuppen von den Augen fällt.

Wer die Bibel im Zusammenhang liest, anstatt verschenweise, ausschneidend und verkürzend, zensierend, dem erschließt sich der Kontext und Zusammenhang in anderer Weise. Es eröffnen sich ganz andere Horizonte, die sich in einer Inselsicht nicht weiten können.

Die Bibelsprache ist eine Sprache in Bildern, wer die Bilder nicht versteht, versteht den Inhalt nicht. Je weiter man fortschreitet, desto mehr versteht man die Querverweise und die gemeinsame und abweichende Bildsprache und – natürlich – den gemeinsamen Inhalt, die Botschaft hinter dem Bild. Man kommt auch kuriosen Fehlinterpretationen auf die Spur, wie mir zuletzt bei der Offenbarung klar wurde. Haben diejenigen, die von dem Weib, das mit der Sonne bekleidet ist und einen Sohn gebiert, predigen, wirklich den Zusammenhang verstanden? Wenn sie auf Maria verweisen, was üblicherweise geschieht, sicher nicht. Dazu schreibe ich dir sicher noch einmal.

Klar wird einem dabei auch, dass man, sofern man sich nicht aus eigener Anschauung ein Bild macht, immer auf die Interpretation der anderen angewiesen ist und hier liegt die Wurzel vielen Übels begraben. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Pfarrer oder Priester die Bibel wirklich mindestens einmal von vorne bis hinten im Zusammenhang gelesen hat. Ich würde das erwarten, habe aber meine Zweifel. Dann könnten sie keinen solchen Unsinn verzapfen, den sie teilweise verzapfen. Sie sind oft selbst wie Blinde, die im Nebel stochern. Aber auch das ist nichts wirklich Neues. Sowohl im Ersten wie im Zweiten Testament wird dies häufig angeprangert, Jesus ist ein prominenter Vertreter davon. Geändert hat sich daran nichts, wieso auch? Mensch hat sich nicht geändert. Deshalb hat die Schrift ihre universale Gültigkeit behalten. Nichts ist veraltet.

Die Personen, Bilder und Symbole sind Container für die Botschaft, sie stehen nicht für sich als Person oder Ereignis, sondern als Träger der Botschaft. Für die Bibelschreiber war das noch klar. Der heutige im Eigenverständnis höchst gebildete Bibelleser oder auch –ausleger schreit, das könne alles nicht sein, Historie und Wissenschaft sprächen dagegen. Wie kann ein Elia oder Jesus in einer Wolke gen Himmel fahren? Was, wenn Jesus nicht in Bethlehem geboren wurde? Von keiner fleischlichen Jungfrau? Gebildet ungebildet, verbildet, falsche Götterbilder. Ein damaliger Bibelschreiber würde über so viel Analphabetismus nur den Kopf schütteln. Nichts verstanden zwischen A und O, nur die Buchstaben gesehen, den Sinn des Satzes nicht verstanden.

Deshalb ist es gut, dass die Bibelhistoriker Stück für Stück ans Tageslicht befördern, dass historisch in der Bibel recht wenig haltbar ist. Das gilt auch für Jesus. Das begrüße ich sehr. Das ist ein Fortschritt. Damit man endlich aufhört, die Personen als Personen zu sehen, den Kopf schüttelt über die Menschen im AT, sich über sie erhebt und doch die Unverständigkeit auf der eigenen Seite ist. Was, wenn die Ereignisse so gar nicht stattgefunden haben, real? Fällt dann der ganze Gottes- und Jesusglaube zusammen? Wenn Schaf nicht Schaf ist, und die Schafschur als landwirtschaftliches Ereignis nie stattgefunden hat?

Gut, dass die Wissenschaft eifrig weiter forscht, um den Realfetischisten diesen Zahn langsam hoffentlich endgültig zu ziehen. Die Religionswissenschaft frisst ihre Religionskinder, die auf die eigene Propaganda hereingefallen sind. Gut so und heilsam für den Glauben, vielleicht, je nachdem, auch für die Kirche. Ihr Lieben, was macht ihr, wenn die Wissenschaft euer Realgebäude langsam ganz aushöhlt, dann habt ihr nur noch ein Skelett, das noch nicht einmal mehr zusammenhält. Über unbefleckte Empfängnis braucht man dann gar nicht mehr diskutieren, das erledigt sich konkludent. Darauf spekulieren, dass diese Realität wenigstens den Anhängern verborgen bleibt? Das wäre eine tödliche Strategie. Es besteht ein gewisser (Wissenschafts-)Druck, diese veränderten Realitäten langsam anzuerkennen, sich von der Vordergründigkeit in die Hintergründigkeit zu bewegen, von der Oberflächlichkeit weg in die Tiefe, sonst laufen wegen fehlender Glaubwürdigkeit auch noch die Letzten Anhänger weg. Auf deren Dummheit und Ungebildetheit würde ich lieber nicht spekulieren. Entweder Kirche begreift es oder auch dieses Thema erledigt sich irgendwann von selbst. Jedenfalls als Volkskirche.

Die Gleichnisse von Jesu Lehren lassen sich nur vor dem Alten Testament und seiner Symbolsprache verstehen. Jesus war ein jüdischer Mensch, seine Botschaft fest im Alten Testament verankert. Wer sie aus diesem Zusammenhang herausreißt und durch eigene Lehren ersetzt, lehrt von Gott, es ist aber nicht Jesu Lehre, es ist eine eigene. Die christliche Lehre ist deshalb in weiten Teilen paulinisch, aber nicht jesuanisch. Jakobus und Petrus sind näher an der Lehre Jesu als Paulus.

Die fehlende Verankerung der paulinischen Lehre in Jesu Lehre und im alttestamentarischen Wort verschärft das Lehrproblem der Kirchen. Deshalb greift man es lieber nicht auf. Es wäre eine große Herausforderung, da dies ein großes Fragezeichen hinter die gesamte Lehre der katholischen und evangelischen Kirchen setzen würde, mit Gefahr des Legitimationsverlustes inklusive. Der moderne Mensch lässt sich nicht mehr mit leeren Sprüchen abspeisen und für dumm verkaufen. Er ist nicht mehr so ungebildet wie die paulinischen oder auch – lieber Luther, du würdest mir sicher Recht geben, der lutherischen Zuhörer. Christ ist heutzutage emanzipiert von Kirche. Er traut sich, auch ohne Kirche zu glauben. Der kirchliche Alleinerklärungsanspruch wird von den Menschen nicht mehr einfach geschluckt. Die Menschen drehen sich einfach weg und gehen ihre eigenen Wege. Macht das einen Unterschied in ihrer Stellung zu Gott? Sicherlich nicht.

Deshalb, wieso sich nicht selbst um ein Verstehen bemühen. Direkt in der Bibel. Aus eigener Anschauung und eigenem Verstehen. Das Bibelbuch liest sich meistens spannend wie ein Krimi. Es geht mir heute noch so wie von Anfang an: Bibel lesen, sich Bibel erarbeiten, erfüllt mich voller Energie, füllt mich bis oben an, inspiriert mich, bewegt mich, wühlt mich auf, klärt mich, bringt mir Ruhe, Frieden und Kraft. Jeden Tag ein bisschen mehr Verstehen, jeden Tag mehr Einsicht, jeden Tag ein anderes Aha-Erlebnis. Wir sind ein Gefäß, in das das Wort einfließen kann und soll. Wir müssen nur das Gefäß öffnen. Ich kann jeden nur ermuntern, es einmal zu probieren. Ich wäre bei Vielem noch auf einem anderen Dampfer, hätte ich nicht das ganze Wort mit eigenen Augen und eigenem Verstand gelesen.

Lieber Luther, ich habe die Bibel in deiner Übersetzung von 1912 gelesen, für mich immer noch das Beste, was es an Bibelübersetzung gibt. Das Einfühlsamste. In dieser Übersetzung ist die richtige Balance zwischen Wörtlichkeit und Sinnlichkeit getroffen. Bei dir kommt an erster Stelle der Sinn und da bist du, was das Verständnis anbelangt, nach wie vor unübertroffen. Und hin und wieder, wenn ich um den Sinn ringe, schaue ich auch in der Übersetzung von 1534 nach, da die dir noch ein Stück näher ist.

Eigentlich wollte ich ja weiter über Weihnachten schreiben, na ja, morgen ist auch noch ein Tag!

Herzliche Grüße
Deborrah

Wo ist Bethlehem? Wo ist die Krippe?

Lieber Luther,

die Frau war tot, gemartert von ihrem Mann und von fremden Männern. Wie ist die Bibelstelle,über die ich gestern geschrieben habe (Richter 19, 1-30), zu verstehen? War es ein sinnloser Tod, den die Frau gestorben ist, oder war es überhaupt der Tod einer Person? Wer ist hier gestorben und worin bestehen die Parallelen zur Weihnachtsgeschichte, zu der Lukasgeschichte von der Geburt Jesu in Bethlehem?

Der Mann, um den es in der Geschichte geht, ist fremd auch dort, wo er wohnt. „Fremdling“ ist ein Wort, das häufig auftaucht in der Bibel. Es ist das Bild für den Suchenden, der dulden und erdulden muss. Aber gerade der Fremdling findet in der Fremde Gott, im Dulden und Erdulden, davon erzählen viele Geschichten der Bibel. Viel dulden und erdulden müssen die Menschen, in dieser Bethlehem-Geschichte. Sie sind auf einer Reise, die sich anders gestaltet, als sie sich das gedacht haben. Gott lässt sich auf dieser Reise anders finden, als gedacht. Wir können aus der Geschichte lernen, wo das wahre Bethlehem liegt, das wahre Bethlehem auch auf unserer Lebensreise.

Zunächst ist da die Frau. Schon ihre Bezeichnung als „Kebsweib“ bedeutete eine Herabwürdigung. Sie ist als Nebenfrau eine Frau zweiter Klasse, im Rang niedriger als die Hauptfrau. Sie ist geduldet und muss erdulden. Das Zusammenleben und die Eifersüchteleien sind groß. Die Dreiecksgeschichte von Abraham, Sara und Hagar zeigen es. Beide sind jedoch in jeder Beziehung abhängig von ihrem Mann, dem Oberhaupt des Hauses. Ihm müssen sie sich in allem fügen.

Die Geschichte der Frau ist insofern erstaunlich, als sie dem Mann davongelaufen zu sein scheint. Das zeugt entweder von großem Leidensdruck – vielleicht ist sie geschlagen worden, jedenfalls misshandelt, sonst wäre sie nicht geflohen. Ein Kebsweib, dem der Mann abhanden kam, war so gut wie eine Hure, sozial die unterste Schicht. Und doch waren gerade diese Frauen die Heldinnen der Bibel: Sie hatten nichts mehr zu lassen, hatten nur noch ihren Überlebenswillen, ihren Glauben, nur noch Gott und sich selbst. Das hat sie von allen Konventionen befreit und stark gemacht. Die Frau hat es gewagt, der Gewalt zu entfliehen.

Wieso reist ihr der Mann nach vier Monaten nach? Lieber Luther, du schreibst, er wollte freundlich mit ihr reden, andere übersetzen, er wollte mit ihrem Herzen reden. Wollte er gut Wetter machen? Bei einem Kebsweib? Auch das ist ungewöhnlich. Mit sich hatte der Mann einen Jungen. Du übersetzt: einen Knaben, andere übersetzen Knecht. Vielleicht ist auch beides richtig: Kinder von Kebsweibern waren in der Regel Knechte der Kinder der Herren. Wollte der Mann das Kind als Druckmittel nehmen, mit dem Kind das Herz der Frau rühren, so dass sie wieder zu ihm zurückkehrt? Von einem Kebsweib verlassen zu werden, war sicher ehrabschneidend und eine Ungeheuerlichkeit. Wenn, dann wurde das Kebsweib verlassen, in die Wüste geschickt, so wie es Abraham mit Hagar und seinem eigenen Kind tat. Aber nicht umgekehrt.

Der Mann wollte mit der Frau sprechen, die hat ihn ABER zu seinem Vater geführt. Wohl, um ihren Status zu verbessern: Lass dein Herz guter Dinge sein. Der Vater nötigt den Mann zu bleiben und weiterhin mit ihm zu Essen und zu zechen. So gestalteten sich in der Regel Verheiratungsverhandlungen. Was er ihm wohl abhandeln wollte? Einerseits ist er über die Anwesenheit des quasi Schwiegersohnes hoch erfreut. Es ist auch ehrabschneidend eine Tochter zu haben, die Kebsweib ist, noch schlimmer, wenn sie dem Mann davonläuft und auch noch ihr Kind verlässt. Schlimmer konnte es für einen Vater zu damaliger Zeit kaum kommen. Andererseits weiß er, dass seine Tochter nicht umsonst geflohen ist. Er will es so lange wie möglich hinausschieben, seine Tochter wieder dem Fremdling auszuliefern. Kann das gutgehen? Lass dein Herz guter Dinge sein.

Wie wir bereits wissen, ist es nicht gutgegangen. Im Weiteren dieser Geschichte begegnen uns die Zutaten der Weihnachtsgeschichte in der Lukasversion. Eine unverheiratete Frau aus Bethlehem mit einem Kind und ein Mann, der in einem schwierigen Verhältnis zu ihr steht. Er macht sich mit der Frau, dem Knaben und zwei Eseln auf den Weg. Sie suchen für die Nacht eine Herberge, aber finden keine. Obwohl sie sich selbst verpflegen können, will die Fremden keiner aufnehmen. Sie müssten auf der Straße nächtigen, begegnete ihnen nicht schließlich doch noch ein barmherziger Mann, der ihnen eine Bleibe für die Nacht anbietet.

Hat Lukas an diese Geschichte gedacht, als er Maria und Joseph in Bethlehem eine Herberge suchen ließ? Bethlehem war für sie wie für das namenlose Paar die Stadt Gibea, an sich eine Stadt, die bei der Landnahme den Leviten zugesprochen wurde. Die Stadt lag im Land der Benjaminiter. Ein Levit, wie der Mann, konnte sich hier eigentlich sicher fühlen, eigentlich. Er hat sich bekanntlich geirrt.
Das Scenario bei der Herbergssuche bei Lukas war vergleichbar: Es gab eine Frau, die mit ihrem Kind zwischen allen Stühlen saß, ein Mann, der sie dann doch zu sich nahm, eine Stadt, die beherrscht wurde von den Römern und ihren einheimischen Erfüllungsgehilfen. Gewalt und Terror auf den Straßen. Der „böse Bube“ ist bei Lukas nicht der Pöbel, sondern Herodes, der nicht dem Mann, sondern dem Kind an den Kragen will. Die Parallelen sind unübersehbar.

Damit sind wir bei der Kernfrage von beiden Geschichten: Was ist ein Fremder, wo sind wir Fremde, wo werden wir wie Fremde behandelt? Bei den Fremden oder bei den Brüdern? Es geht um fehlende Nächstenliebe und es geht um Flucht. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Fehlende Nächstenliebe führt zur Flucht, zur Trennung, zur Selbstzerfleischung. Die tote zerstückte Frau, das Jesuskind auf der Flucht vor dem Terror, der tote Jesus stehen in einer Reihe. Jesus wusste, wieso er dem Gebot der Nächstenliebe so einen hohen Rang eingeräumt hat. Seine Botschaft war: eine feste sichere Stadt findet ihr nur bei Gott. Dort ist das Haus des HERRN, dort müsst ihr es suchen, nicht unter Menschen.

Die zerstückelte Frau ist ein drastisches Bild hierfür, eine Geschichte, die einen mit Bedacht in ihrer Brutalität bis in die Grundfesten erschrecken lassen soll. Sie mahnt zur Umkehr: Die Nachkommen Jakob Israels, Brüder, schänden und ermorden einander gegenseitig, so wie es auch die Nachfolger Jesu bis auf den heutigen Tag tun. Ihr zerlegt euch gegenseitig mit Haut und Knochen, treibt einen Keil durch euch selbst. Das meint, wenn der Mann die Frau in 12 Stücke zerlegt und an die Grenzen Israels schickt. Die Frau symbolisiert die Tochter Zion, die von den Ihren zerlegt wird, der Körper der Kinder Israel, die Nachkommenschaft der Kinder Jakobs, die sich gegenseitig zerstört und zu Tode martert. Deshalb sind auch alle Beteiligten namenlos. Die Botschaft ist universell bis auf den heutigen Tag.

Lieber Luther, als der Morgen rot anbrach, ließen sie die Frau. Sie schleppte sich zur Tür , legte ihre Hand auf die Schwelle, bis es licht war. Das ist die Heilsbotschaft dieser Geschichte. Jesus ist zu ihr gekommen, der Retter. Ich bin die Tür, sagt Jesus, ihr kommt nur über die Schwelle durch mich. Die Frau hat die Hand an die Schwelle gelegt und: Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude – in all ihrem Leid.
Diese Geschichte ist nicht leicht zu erzählen. Hat Lukas deshalb eine Kindergartengeschichte daraus gemacht? Eine, in der man träumen kann, in der man einem Kinderglauben nachhängen kann? Den Blick weglenken kann von der rauhen Wirklichkeit auf ein unschuldiges Kind in der Krippe? Jesus ist wie diese Frau gestorben, vom Pöbel zu Tode gemartert. Er liegt, wie mit der Frau, mit vielen Menschen vor unseren Füßen und wir stolpern über ihn. Wir sind oft wie dieser Mann, als er sich mit Unschuldsmiene davonschleichen will, als sei nichts passiert. Gott hat ihn über sein Unrecht stolpern lassen. Er hat es mit eigenen Augen gesehen. Wir sehen unser Unrecht mit eigenen Augen. Und dann stehen wir vor der Krippe und singen frohe Lieder. Wie scheinheilig ist das.

Es ist Zeit, lieber Luther, die Krippe wegzuräumen. Sie ist eine schöne Mär und nichts als Jesusromantik. Es ist Zeit, erwachsen zu werden im Glauben. Zeit, Jesus in den Menschen, die auf dem Boden liegen, zu suchen. Dort ist die Krippe. Kindergartenglauben ist heute nur noch schwer zu vermitteln. Wir sind mit dem Mann, immer noch Fremdlinge, Suchende, Heimatlose, die zum Hause des HERRN ziehen. Wir sollten uns dringend auf den Weg machen.

Herzliche Grüße
Deborrah

Fehlende Herberge – Tödliche Reise

Lieber Luther,

die Geschichte von der fehlenden Herberge spielt nicht in Bethlehem, hat aber einige Gemeinsamkeiten. Sie wurde schon im Ersten Testament erzählt. Es klingt fast, als hätte sich die Lukaserzählung Teile dort ausgeliehen. Aber nur ausgewählte Teile. Es liest sich wie ein Krimi, mit tödlichem Ausgang (Richter 19, 1- 30). Genauso wie die Geschichte Jesu.

Ein Mann, ein levitischer Fremdling, wohnte am Rande des Gebirges Ephraim. Er hatte ein Kebsweib, d.h. eine Nebenfrau aus Bethlehem, heute würde man sagen, eine Geliebte. Nebenfrauen waren zu der Zeit üblich. Nachdem sie, wie du, lieber Luther, übersetzt, mit ihm gehurt hatte, ist sie zurück nach Bethlehem in ihr Elternhaus geflohen. Die Nebenfrau scheint den Mann verlassen zu haben.

Er zieht mit zwei Eseln und Knecht hinter ihr her, um sie zurückzuholen. Der Mann ist gekommen, um freundlich mit ihr zu reden, aber die Frau führt ihn zum Vater, welcher über sein Erscheinen erfreut zu sein scheint. Er bewirtet den Schwiegersohn wie es Brauch ist und nötigt ihn Tag für Tag zu bleiben. Fünf Tage ließ sich der Mann aufhalten und auch am 5.Tag versuchte ihn sein Schwiegervater weiter festzuhalten: Siehe der Tag hat sich geneigt und es will Abend werden, bleibe über Nacht. Du kannst noch morgen früh deines Weges ziehen. Hier hast du Herberge. Lass dein Herz guter Dinge sein.
Doch der Mann will sich nicht weiter aufhalten lassen. So nimmt er Frau und Esel und zieht los, obwohl es schon Nachmittag ist und es bald dunkel wird. Etwa 10 km weiter, nahe der Stadt Jebus, dem damaligen Jerusalem, schlug der Knecht vor, dort zu übernachten. Der Mann lehnt ab. In der „Fremden Stadt“ will er nicht übernachten. Die Stadt war noch „fremd“, weil der Stamm der Jebusiter dort noch wohnte, denn die Kinder Benjamin hatten die Jebusiter, die in Jerusalem wohnten, nicht vertrieben (Richter 1, 21).

Als sie etwa 8 km weiter gezogen waren, ging die Sonne endgültig unter und es war kein weiterkommen ohne Licht. Sie erreichten die Stadt Gibea , eine Stadt der Kinder Israel. Hier dachten sie, könnten sie sich sicher fühlen. Aber es kam ganz anders.

Sie mussten ihr Quartier auf der Straße aufschlagen. Die Benjaminiter wollten sie nicht beherbergen. Da kam ein alter Mann des Weges, der gebürtig auch vom Gebirge Ephraim war und folglich selbst ein Fremder in der Stadt. Der alte Mann „hob seine Augen auf“ (der Ausdruck wird im AT verwendet, wenn Gottes Geist aus jemandem spricht) und fragt: Wo willst du hin, wo kommst du her? Antwort: Wir reisen von Bethlehem in Juda an den Rand des Gebirges Ephraim. Da komme ich her. Ich bin gen Bethlehem gezogen und ziehe jetzt zum Hause des HERRN, und niemand will mich beherbergen. Wir haben alles bei uns, Stroh, Futter für die Esel, Brot und Wein für mich, deine Magd (= die Nebenfrau) und den Knaben. Wir liegen keinem auf der Tasche.

Da antwortete der alte Mann: Es soll dir wohlergehen. Alles was dir fehlt findest du bei mir. Er führte sie ins Haus und gab den Eseln Futter, sie wuschen ihre Füße, aßen und tranken miteinander. Und ihr Herz war guter Dinge.

Dann nimmt die Geschichte eine tragische Wendung:
Es kamen böse Buben aus der Stadt, umringten das Haus, klopften an die Tür und forderten von dem alten Mann: Bringe den Mann heraus, der in dein Haus gekommen ist, damit wir ihn erkennen. In der Bibel wird das Wort verwendet, um Geschlechtsverkehr zu umschreiben. Im Klartext heißt das also: Das Gesindel, das sich eingefunden hatte, wollte den fremden Mann vergewaltigen.

Der alte Mann ist in Not, er hatte dem Mann Wohlergehen in seinem Haus versprochen und so schlägt er ein Tauschgeschäft vor: nehmt stattdessen meine Tochter, sie ist noch Jungfrau, und die Nebenfrau des Mannes. Ich bringe sie heraus. Die mögt ihr zu Schanden machen und mit ihr tun, was euch gefällt. Aber vergreift euch nicht an dem Mann. Jedoch der Pöbel wollte den Mann. Da ergriff der Mann seine Geliebte und zwang sie hinaus. Die Rotte vergewaltigte sie und trieb die ganze Nacht ihren Mutwillen an ihr; als der Morgen rot anbrach ließen sie sie gehen.

Die Frau schleifte sich vor die Tür des Hauses, in dem der Mann übernachtete. Sie lag da, bis es licht wurde. Als der Mann morgens aus der Tür trat um weiterzuziehen, lag da seine Nebenfrau, die Hände auf der Schwelle. „Steh auf, und lass uns ziehen“. Aber sie antwortete nicht. Er lud sie auf den Esel, machte sich auf und zog in seinen Ort. Da nahm er ein Messer und zerstückelte sie in zwölf Teile und sandte sie an alle Grenzen Israels.

Wer das sah, sprach: Solches ist nicht geschehen und nicht gesehen, seit die Kinder Israel aus Ägypten gezogen sind, bis auf diesen Tag. Denkt darüber nach, gebt einen Ratschlag, und macht diesen bekannt.
Lieber Luther, erst einmal schaudert man, dem ersten Reflex folgend, zusammen. Das führt dazu, dass man die vielschichtige Botschaft übersieht. Worin besteht sie? Hat diese Geschichte etwas mit Weihnachten zu tun? Lieber Luther, die Antwort lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen. Nicht nur die Kinder Israel, auch ich muss erst nochmals darüber nachdenken. Morgen vielleicht mehr!

Herzliche Grüße
Deborrah

Durchbrecher

Lieber Luther,
wie schon angesprochen: Jesus ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Bethlehem geboren, nichts, außer die Lukasgeschichte, bringt seine Geburt damit in Verbindung. Ob die Jungfrauengeburt so zu nehmen ist, wie sie genommen wird, ist sehr die Frage. Den Kindermord hat es nicht gegeben, die peniblen römischen Historiker hätten es nicht übersehen. Die Flucht aus Ägypten ist aus einem Missverständnis des Propheten Hosea geboren. Eine Fülle ist zu sagen zu Jesu Geburt und was aus der Bibel zu verstehen ist. Es passt unmöglich in einen Blog. So denke ich, dass es ein Zyklus werden wird. Wie meistens, weiß ich noch nicht, wohin mich das führt. Viel beschäftigt mich und drängt mich, es in Schriftform zu fassen, da es hilft, die Gedanken zu strukturieren.
Die frühen Christen hatten ihr Fundament im Judentum, in der Schrift, so wie sie überliefert war. Auch die Evangelisten standen in dieser über ein Jahrtausend langen Tradition. Vieles war selbstverständlich, was uns heute nicht mehr selbstverständlich, ja fremd erscheint. Das ein oder andere wurde auch vergessen, weil es keiner mehr erzählt hat oder den Zusammenhang hergestellt hat.
Jesus stand fest auf dem Fundament des Alten Testamentes. Ich komme, sagt er, nicht das Gesetz zu brechen, sondern ihm zum Durchbruch zu verhelfen: Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt 5, 17). Die alles entscheidende Frage stellt er selbst, nachdem ihm die Schriftgelehrten eins um andere Mal versuchen, ihn herauszufordern: Wie steht es im Gesetz geschrieben? WIE liest du? (Lk 10,26). Das macht den Unterschied zu ihm und der herkömmlichen Lehre: Jesus liest anders als die Schriftgelehrten, er legt anders aus, er belehrt sie. Sie ziehen dabei den Kürzeren, sie machen gegen ihn keinen Stich, was sie sehr gegen ihn aufbringt. Verletzte Eitelkeit. Was erlaubt sich dieser Mensch?
Jesus durchbricht ihre Denkmechanismen und Regeln, die sich im Laufe der Jahrhunderte so eingeschliffen haben, dass sie keiner mehr wirklich hinterfragt hat, etwas für Gottes Gesetz ausgegeben wird, was ursprünglich nur dazu gedacht war, die mosaische soziale Gemeinschaft in eine Ordnung zu bringen, das Zusammenleben in größeren Menschengruppen ermöglicht.
Jesus ist der Durchbrecher, der beim Prophet Micha angekündigt ist (Micha 2, 1-13): Ich will aber dich, Jakob, versammeln …; ich will sie wie Schafe miteinander in einen festen Stall tun und wie ein Herde in ihre Hürden, dass es von Menschen tönen soll. Es wird ein Durchbrecher vor ihnen herauffahren; sie werden durchbrechen und zum Tor ausziehen; und ihr König wird vor ihnen her gehen und der HERR vornean. Der HERR ist in diesem Verständnis Gott, nicht Jesus.
Der Geburt des Durchbrechers erinnern wir uns an Weihnachten. Er hat viele rituelle Regeln, die von Menschenhand mit Berufung auf Mose gesetzt wurden, durchbrochen. Aber nicht mit dem Ziel, sie aufzuheben, sondern sie wieder auf ihren Kern zurückzuführen. Missbrauch aufzudecken und den Glauben an Gott, der in Regeln zu ersticken drohte, zu befreien von den ihn einschnürenden Vorschriften. Er hat keine Scheu, Tabus zu brechen, wie etwa in der Sabbatfrage. Er fragt nicht lange, er durchbricht sie. Er zieht mit seiner Lehre aus dem Tempeltor hinaus, auf die Straße, durchbricht jegliche Sperre, auch die eigene Angst. Er ist kein Tempelprediger, sondern ein Straßenprediger. Er kommt zum Volk und das Volk läuft ihm zu. Er bringt seine Lehre auf den langen Marsch durch die Jahrtausende.
In der Nachfolge ziehen seine Schüler in die Welt und verkünden in den Evangelien seine Lehre. Ausschließen will ich hier ausdrücklich Paulus, der seine eigene Lehre verkündet. Dass er damit auch Jesu Lehre verbreitet, liegt in seiner Mission. Das ist sicher kein Zufall. Jesus steht fest im Alten Testament, er pariert jeden Einwand gekonnt, Paulus hat sich dagegen vom Christenhasser zu einem Judenhasser entwickelt und alles verdammt, was in dieser Tradition steht. Dass sich die Kirchenlehre stark auf Paulus gründet, sollte Anlass zum Nachdenken geben. Er folgt damit nicht Jesu Lehre.
Jesus hat nicht nur Zäune niedergerissen, er hat neue Einfriedungen gebaut und die Herde neu gesammelt. Er hat ihr damit neue Sicherheit gegeben. Viele Gleichnisse handeln von Hirtenund von (verlorenen) Schafen. Er hat befreit, Eingrenzungen niedergerissen, gleichzeitig aber eine neue religiöse Heimat, einen neuen Schafstall, errichtet, neu eingegrenzt, einen neuen Schutzraum geschaffen, für Mensch und Gott, frei von Altlasten und Ballast.
Lieber Luther, mit Blick auf den Zustand der Kirchen und ihrer Lehren, auch mancher irrigen, mag man seufzen und uns Jesus im Heute wünschen. Einen der erklärt, zurecht rückt, korrigiert, verwirft. Jesus, seine Lehre, ist nur vor dem Hintergrund des Alten Testamentes zu verstehen. Er war fest in diesem Fundament verankert. Alle Bilder kommen von dort. Er hat sie gekannt und wie alten Wein in neue Schläuche gegossen, so wie bei der Hochzeit von Kanaanbeschrieben. Sie steht nicht umsonst zu Beginn von Jesu Wirkungsgeschichte bei Johannes.
Lieber Luther, mein Weihnachtszyklus fängt gut an. Ich habe etwas ganz anderes geschrieben, als ich im Sinn hatte. Weil es so schön passt und eines meiner Lieblingslieder im Gesangbuch ist (EKG 66), hänge ich den Text noch an. Die Verse, denen ich nicht zustimmen kann, habe ich ausgelassen. Bis demnächst!
Herzliche Grüße
Deborrah
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude
1) Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude;
A und O, Anfang und Ende steht da.
Gottheit und Menschheit vereinen sich beide;
Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah!
Himmel und Erde, erzählet’s den Heiden:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden.
2) Jesus ist kommen, nun springen die Bande,
Stricke des Todes, die reißen entzwei.
Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden;
er, der Sohn Gottes, der machet recht frei,
bringet zu Ehren aus Sünde und Schande;
Jesus ist kommen, nun springen die Bande.
5) Jesus ist kommen, der König der Ehren;
Himmel und Erde, rühmt seine Gewalt!
Dieser Beherrscher kann Herzen bekehren;
öffnet ihm Tore und Türen fein bald!
Denkt doch, er will euch die Krone gewähren.
Jesus ist kommen, der König der Ehren.
7) Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden:
komme, wen dürstet, und trinke, wer will!
Holet für euren so giftigen Schaden
Gnade aus dieser unendlichen Füll!
Hier kann das Herze sich laben und baden.
Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden.
8) Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.
Hochgelobt sei der erbarmende Gott,
der uns den Ursprung des Segens gegeben;
dieser verschlinget Fluch, Jammer und Tod.
Selig, die ihm sich beständig ergeben!
Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben.
9) Jesus ist kommen, sagt’s aller Welt Enden.
Eilet, ach eilet zum Gnadenpanier!
Schwöret die Treue mit Herzen und Händen.
Sprechet: wir leben und sterben mit dir.
Amen, o Jesu, du wollst uns vollenden.
Jesus ist kommen, sagt’s aller Welt Enden.

Weihnachts-Kirchen-Theater

Lieber Luther,

Jesus ist nicht in Bethlehem geboren. Das ist mittlerweile einigermaßen wissenschaftlich gesichert. Jesus war Nazarener, sein Licht ist in Nazareth aufgegangen, nicht in einem Stall und nicht unterwegs. Die Weisen aus dem Morgenland hat es nicht gegeben und noch weniger die Flucht von Maria und Josef mit dem Kindlein nach Ägypten. Wieso zelebrieren wir heute tausendfach Krippenspiele? Lassen Engel bei Hirten auftreten? Behaupten wir einen Kindermord, den es nie gegeben hat? Weihnachtstheater.

Die Gottesdienste heute in Serie durchgetaktet, Massenproduktion. Was veranstaltet Kirche da, mit tätiger Mithilfe ihrer Diener? Zum ersten Mal seit ich denken kann, besuche ich keinen Weihnachtsgottesdienst. Ich glaube, ich könnte die Heuchelei nicht mehr ertragen. Das billige Kalkül mit den Emotionen, die Kerzen, die das Licht der Welt symbolisieren sollen und nichts anderes sind als falscher Schein. Stimmungsmache. Christus ist heute geboren, hallt es von den Kanzeln, freuet euch! Wirklich? Oder alle Jahre wieder? In einer Reihe mit Dinner for One?

Alle Jahre wieder das Weihnachtsspektakel. Ändert der Weihnachtstag irgendetwas in den Gewohnheiten der Menschen, hin zu etwas, was Jesus wichtig gewesen wäre? Dauerhaft? Hin zu mehr Nächstenliebe? Die Liebe ist in die Welt gekommen? In Form von bunten Lichtern, frohen Liedern in höchsten Tönen, Geschenkbergen und Weihnachtsgans? Alle Jahre wieder der gleiche schöne Putz, der schon am nächsten Tag bröckelt. Weihnachtsbaum raus, Silvester oder Urlaub ruft. Umdekorieren.

Alle Jahre wieder Weihnachtstheater. Lieber Luther, ich habe bisher auch mitgemacht. Aber damit ist jetzt Schluss. Das Jahr in der Wüste hat mich der kirchlichen Festinszenierungen entfremdet. Jesus ist nicht umsonst vor den Menschen zu Gott immer in die Wüste geflüchtet, nie in den Tempel. In der Wüste ist man Gott näher, lernt man, auf ihn vertrauen, lernt man, dass es außer ihm nichts braucht. Die Stille der Wüste führt zur Klarheit, entblößt die Verklärung, auch die eigene. Es ist wie ein Erwachen. Verwundert reibt man sich die Augen, wie man das so lange nicht hat sehen können. Mitgeschwommen im Strom der geistigen – geistlichen Bequemlichkeit. In die falsche Richtung geleitet, von falschen Predigern. Bequem einfach das konsumierend, was einem vorgekaut wird. Ein gut verdaubarer Weihnachtsbrei. Alle Jahre wieder verkitschtes Kirchenfest.

Nein, dieses Jahr ohne mich! Lieber Luther, das „frohe Weihnachten“ kommt mir dieses Jahr sehr schwer über die Lippen, ich habe eine innere Sperre dagegen. Innerer Widerstand gegen das Weihnachtsvolkstheater, den Volksauflauf in den Kirchen, als gäbe es etwas umsonst. Was für ein von den Kirchen sorgsam gepflegter Irrtum. Gottes Wind bläst, wo er weht, alle Advents- und Weihnachtslichter aus, sein Sturm lässt vom Weihnachtsbaum nichts übrig. Er entblößt ihn als heidnisch oder pure Dekoration.

Mit der Gottesgeburt in uns hat all das Lichtgepränge und Gefasel nichts zu tun. Gottes Licht erkennt man wie die Sterne nur in der Dunkelheit. Ganz sicher nicht im hellerleuchteten Weihnachtskirchentheater! Geburts-Tage Gottes sehen ganz anders aus. Mehr davon die nächsten Tage.

Herzliche Grüße
Deborrah

Verführung

Der Herr sprach zu Salomo: Bitte, was ich dir geben soll! Salomo sprach: Du wollest deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist. 
1.Könige 3,5.9

Die Schlange verführt uns immer wieder ,
vom Baum der Erkenntnis essen zu wollen,
entscheiden zu wollen,
was gut und böse ist,
um am Ende demütig zu erkennen,
dass wir es nicht wissen können.
Das lehrt das Leben.

Auch den Prediger Salomon.

Baum der Erkenntnis.

Fromm

Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.
1.Mose 4,7
Fromm sein,
ist nicht Form,
sondern Lebensinhalt,
Das wird oft verwechselt.

Freunde

Als die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. 
Hiob 2,11.13
Menschen können einem im Unglück nicht helfen.
Sie trösten auf ihre Weise,
in gewisser Weise sich selbst.
7 Tage und 7 Nächte haben die Freunde Hiobs mit ihm geschwiegen,
dann haben sie geredet und es hat sich gezeigt, wer der wahre Freund ist.
Hätten sie doch weiter mit Hiob geschwiegen,
einfach nur dagewesen.

Saulus Paulus

Lieber Luther,
Jesus sagt: Der Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten (Lk 9, 56). Paulus schreibt: Ich schreibe euch Korinthern lieber all mein Missfallen an euch, damit ich, wenn ich zu euch komme, nicht die Schärfe brauchen muss nach der Macht, welche mir der HERR, zu bessern und nicht zu verderben, gegeben hat (2.Kor 13, 10). Mal sehen, wie Paulus das anfängt.
Ich bin, lieber Luther, weiter mit Paulus beschäftigt, ihm auf der Spur, nicht so recht wissend, wo mich das am Ende hinführt. Ich hatte dir schon von meinen Irritationen über den 1.Korintherbrief geschrieben. Was bringt auf der Spurensuche nun der 2.Korintherbrief? Weitere Irritationen, um es vorwegzunehmen. Was Paulus schreibt, bedarf der Einordnung in seinen Lebenszusammenhang.
Saul berichtet von seiner Berufung, er habe eine Stimme gehört, die zu ihm sagte: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken (Apg 9, 5; 26, 14). Was heißt das? Der Stachel, der in Sauls Fleisch steckte, war seine Vergangenheit als unerbittlicher Christenverfolger, als Werkzeug der Hohenpriester gegen die Christen. Ananias hatte seine Zweifel, als er Saul sehend machen soll. Gott sagt ihm: Er ist mein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen vor die Heiden, Könige und Kinder Israels trage. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen (Apg 9, 15-16).
Saul fing an von Jesus zu predigen. Die Menschen liefen entsetzt von ihm weg, er war nicht authentisch für sie. Saul wusste aber aufzutreten. In Damaskus „trieb er die Juden in die Enge“, so dass das erste Mordkomplott, von dem berichtet wird, gegen ihn geschmiedet wurde (Apg 9, 25). Die Jünger retteten ihn in einer Nacht und Nebel-Aktion und brachten ihn aus der Stadt. Danach ging er nach Jerusalem und wollte sich den Jüngern anschließen. Die lehnten ihn jedoch ab, da sie ihm schlichtweg nicht glaubten, was er erzählte. Zu phantastisch, um wahr zu sein. Auch in Jerusalem machte er sich schnell Feinde, etwa unter den Griechen, so dass auch sie ihn sogleich an den Kragen wollten.
So komplementierten ihn die Jünger schließlich aus Jerusalem hinaus und brachten ihn auf den Weg Richtung Tarsus, seiner Heimatstadt: So hatte nun endlich die ganze Gemeinde in Judäa, Galiläa und Samarien wieder Frieden (Apg 9, 25-31). Die Apostel scheinen froh gewesen zu sein, diesen Unruhestifter, der überall nur aneckte, wieder los zu sein. Ein weiteres Detail ist hier zu erfahren, das für Saulus Paulus entscheidend ist: Er predigte „frei“ (Apg 9, 28). Was heißt das?
Paulus duldete, wie bereits festgestellt, neben seiner Lehre keine andere, auch nicht die der anderen Apostel. „Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht“. Gemeint sind vor allem die „hohen“ Apostel. Er wirft ihnen vor, dass sie das – sein – Evangelium verkehren. „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Gott habe ihn, so Saul, von Mutterleib an durch seine Gnade berufen, weshalb er seinen Sohn in ihm offenbare, dass er ihn durchs Evangelium unter den Heiden verkündigen sollte. Unter den Umständen, so erklärt er, sei es nicht notwendig gewesen, sich über das Evangelium mit „Fleisch und Blut“ zu besprechen. Deshalb sei er auch nicht gen Jerusalem gezogen, zu denen, „die vor mir Apostel waren“. Petrus habe er 15 Tage lang gesehen, ansonsten keinen der anderen Apostel, außer Jakobus (Gal 1). Worin die Gnade von Mutterleibe an besteht, ein unerbittlicher Christenverfolger zu sein, bleibt dabei Sauls Geheimnis. Saul fühlt sich vor Gott Jesus gleich. In ihm lebt Jesus weiter. Was er vor sich weg- und hinzuargumentiert, überzeugt seine Mitbrüder jedoch wenig.
Die von Jesus benannten „hohen“ Apostel haben das Treiben des Paulus misstrauisch beäugt, haben wohl auch Kundschafter ausgeschickt, um ihn zu beobachten. Aber ein Saul lässt sich nicht beirren. Er will den Apostelkollegen auch „nicht eine Stunde“ untertan sein. Und was ist schon Reputation: Von denen aber, die das Ansehen hatten, welcherlei sie weiland – zu Jesus Zeiten – gewesen sind: daran liege ihm nichts. Ihm sei das Evangelium an die Heiden gleich vertraut wie Petrus das Evangelium an die Juden. Schließlich hätten Jakobus, Kephas und Johannes ihm die rechte Hand geschüttelt und seien mit ihm übereingekommen, dass er zu den Heiden, sie aber zu den Juden gingen. Er scheint nicht auf die Idee gekommen zu sein, dass sie ihn einfach loshaben wollten.
In Antiochien, so rühmt sich Paulus, habe er sich gegen Petrus gestellt, der – der jüdischen Lehre gemäß – sich nicht mit den Heiden an den Tisch gesetzt hätte. Das sei Heuchelei, und der (böse) Petrus habe auch noch seinen getreuen Barnabas zu dieser Heuchelei verführt. Wahrscheinlich war Paulus der einzige, der Petrus Verhalten als Heuchelei angesehen hat. Was folgt ist ein weiterer Ausbruch gegen das Judentum, verbunden mit einer scharfen Abgrenzung zu den „hohen“ Aposteln und deren Lehre, deren Respekt gegenüber der jüdischen Lehre und dem „Gesetz“, gipfelnd in der finalen Behauptung: Denn so durch das Gesetz Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben (Gal 2). Das ist die paulinische Logik der Lagerbildung, einfachstes Schwarz-Weiß-Malen. Fast bin ich geneigt, ihn als Demagogen aus eigener Herrlichkeit zu bezeichnen. Das „Gesetz“ ist einer der Hauptreibungspunkte von Saulus Paulus. Und natürlich die „hohen“ Apostel, die meinen sie seien etwas Besseres als er. Da haben sie aber die Rechnung ohne ihn gemacht.
2.Korinther 11 ist eine Hasstirade gegen die „hohen“ Apostel. Saulus Paulus qualifiziert sie ab und rückt ihre Lehre in die Nähe des Teuflischen. Nur seine Lehre sei richtig, da er mit göttlichem Eifer lehre, und dagegen die (hohen falschen fleischlichen) Apostel verführten wie die Schlange Evas: Denn ich achte, ich sei nicht weniger, als die „hohen“ Apostel sind. Auch wenn er nicht der Rede (Jesu) kundig sei, so sei er doch nicht unkundig der Erkenntnis (2. Kor 11, 2-6). Wieso hört ihr andere Predigten, fragt er die Korinther. Wollt ihr mich damit erniedrigen und euch erhöhen? Ich habe euch (mein) Evangelium umsonst verkündigt, Zeitverschwendung. Ihr habt damit anderen die Zeit gestohlen, die stattdessen meine Predigt hätten hören können, setzt er die Korinther weiter unter Druck. Dasselbe Verhaltensmuster, von dem oben unverhohlen die Rede ist: Er hat nicht nur die Juden, sondern auch die Korinther in die Enge getrieben.
Oft fällt bei Saulus Paulus das Wort „Ruhm“, sein Ruhm. Nein, er wolle sich nicht rühmen, aber … , so das Strickmuster seiner Schreibe. So spricht er vom Ruhm, der ihm in den Ländern Achajas nicht verstopft werden soll (2.Kor 11, 20). Sein Tun rechtfertigt er so: Was ich aber tue und tun will, das tue ich darum, dass ich die Ursache abschneide denen, die Ursache suchen, dass sie rühmen möchten, sie seinen wir. Denn solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Das sei auch kein Wunder, denn der Satan selbst verstelle sich schließlich zum Engel des Lichts. Deshalb sei es auch nicht schwer, wenn sich seine Diener als Prediger der Gerechtigkeit verstellten. „Ich sage abermals, dass nicht jemand wähne, ich sei töricht; wo aber nicht, so nehmet mich als einen Törichten, dass ich mich auch ein wenig rühme. .. Sintemal viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Denn ihr vertragt gern die Narren, dieweil ihr klug seid“ (2.Kor 11, 12-18).
Wenn Saulus Paulus in Fahrt war, war er nicht mehr zu bremsen. Er hat sich so richtig in Rage geschrieben: Sind sie (die „hohen“ Apostel) Hebräer? Ich auch. Sind sie Israeliter? Ich auch. Sind sie Abrahams Same? Ich auch! Sind sie Diener Christi? Ich bin’s wohl mehr: Ich habe mehr gearbeitet, mehr Schläge erlitten etc., ich habe, ich bin , ich habe … (2.Kor 11, 22-28). Und übrigens, zwar ist mir das Rühmen nichts nütze, so will ich doch noch von den Erscheinungen und Offenbarungen reden … (2.Kor 12, 1-6). Und damit ich nicht überheblich werde, ist mir der Pfahl ins Fleisch gegeben, der Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlägt. Er habe zwar dreimal den Herrn angefleht, dass er von ihm weiche, aber Gott habe zu ihm gesagt, er solle sich mit seiner Gnade begnügen, denn seine Kraft sei in den Schwachen mächtig (2.Kor 12, 7-9). Was heißt das nun, lieber Paulus? Du hast den Teufel in dir?
Er sei zwar, so Saulus Paulus, unter all dem Rühmen zum Narren geworden, aber – damit die Schuldigen auch gleich benannt sind – dazu habt ihr Korinther mich gezwungen, den eigentlich sollte ich von euch gelobt werden, da ich nicht weniger bin als die „hohen“ Apostel. Ich habe die Zeichen und Wunder eines Apostels bei euch bewirkt, mit Geduld, mit Wundern, mit Taten. Was beschwert ihr euch eigentlich? Ich gebe mich hin für eure Seelen, ich liebe euch, werde von euch aber weniger geliebt. Ich habe euch nicht beschwert (d.h. bin euch nicht auf der Tasche gelegen), „sondern die weil ich tückisch bin, habe ich euch mit Hinterlist gefangen“ (2.Kor 12, 16). Ihr Korinther, ihr braucht nicht glauben, dass ich mich vor euch verantworten müsste. „Wir reden in Christo vor Gott; aber das alles geschieht, meine Liebsten, euch zur Besserung“. (2.Kor 12, 19). Der Pluralis Majestatis, den Paulus gern benutzt, entspricht seinem Selbstbild. Ich fürchte, fährt er fort, wenn ich zu euch komme, wird es nichts geben als Hader, Neid, Zorn, Zank, Afterreden, Ohrenblasen, Aufblähen, Aufruhr und mein Gott würde mich bei euch demütigen und ich müsste das Leid tragen über viele, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben, für deren Unreinheit, Unzucht und Hurerei (2.Kor 12, 20-21). Paulus trägt das Leid für viele … so sieht er sich, auf einer Stufe mit Jesus, Selbsterhebung.
Lieber Luther, das reicht erst einmal für heute. Ich habe genug. Ich könnte noch viele Seite mit anderen Textstellen füllen. Je mehr ich mich diesem Saulus Paulus nähere, desto mehr erschrecke ich. Hätte Jesus so ein Verhalten in seiner Umgebung geduldet? Niemals! Er hat Petrus aus nichtigerem Anlass zusammengefaltet. Was hätte er wohl zu Paulus gesagt?
Zeitensprung. Was wir heute über Menschen gesagt, die von sich auch sagen, der Heilige Geist habe zu ihnen geredet? Was würden wir zu einem Paulus heute sagen? Würden wir ihn für zurechnungsfähig halten? Würden wir ihn ernst nehmen? Würden wir seine Lehre als einen Glaubenspfeiler installieren? Würden wir eine solche Lehre rein aus dem göttlichen Off einer einzigen Person von der Kanzel lassen? Einen, der nicht wie Jesus auf das Alte Testament baut, sondern sich dagegen abgrenzt? Der es nicht für nötig hält, sich mit denen, die Jahre von Jesus direkt gelehrt wurden, ihn jeden Tag erlebt haben, die von ihm für ihren Apostelberuf ausgesucht und vorbereitet wurden, ausbilden zu lassen, sich aber dennoch auf Jesus beruft. Wieso, ist nicht so richtig erkenntlich. Eigentlich braucht er ihn in seiner Lehre gar nicht, er stört eher, bringt ihn in Erklärungsnot.
Lieber Luther, Paulus hat mit den ihm vom Heiligen Geist übermittelten eigenen Erkenntnissen ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal in der gesamten Schrift. Deshalb hat das, was er lehrt, nicht viel gemein mit dem, was in den Evangelien steht, außer, dass der Heilige Geist, ein gekreuzigter Jesus und Gott in seiner Lehre vorkommen. Würden wir diesen Mann heute nicht – vielleicht mit Recht – für einen Verrückten halten? Oder als einen Esoteriker? Lieber Luther, ich weiß, dass du sehr auf Paulus baust. Bei mir wankt inzwischen das Paulusgebäude bedrohlich. Ich fange an, nicht mehr zu begreifen, wieso Paulus in der kirchlichen Lehre der Rang eingeräumt wurde, den er hat. Er hat ja nichts verheimlicht, was er schreibt ist – millionenfach – unter die Menschen gebracht. „Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel zu lecken“, sagt Gott zu Saulus. Bei Gott ist alles vorhergedacht.
Herzliche Grüße
Deborrah

Paulus

Lieber Luther,
dieser Welt Weisheit ist eitel. Salomon hat das gelernt und in Demut angenommen, aber beileibe nicht jeder. Paulus schreibt im Korintherbrief: „Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue.“ Damit sind wir beim Predigttext für diese Woche (1.Kor 3, 9-15). Und ein paar Sätze später schreibt er: Der Herr weiß der Weisen Gedanken, dass sie eitel sind (1.Kor 3, 20). Er meint aber damit nicht sich, sondern die Korinther.
Aber, so möchte man ihm zurufen, frei von Eitelkeiten bist auch du nicht, lieber Paulus. Du verlangst von anderen, was du selbst nicht hältst. Die Korinther hatten ihre eigenen Ansichten. Paulus hält dagegen: Mein Wort und meine Predigt besteht nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern dient dem Beweis des Geistes und der Kraft, damit – so belehrt er sie – euer Glaube nicht auf Menschenweisheit fußt, sondern auf Gottes Kraft (1.Kor 2, 4).
Was hier zur Sprache kommt und den (griechisch-logisch) gebildeten Korinthern wohl aufgefallen ist: Paulus argumentiert in nicht nachvollziehbaren Pseudologiken. Wenn er seine Rede mit „Sintemalen“ anfängt oder wenn er argumentativ in Schwierigkeiten ist, nicht mehr weiter weiß, deshalb seine typisch suggestiven Fragen im Konjunktiv stellt, ist Vorsicht angebracht. Er stellt etwas als logisch in den Raum, was nicht logisch ist, er führt Scheinbeweise, die – mit fleischlich menschlich beschränkter Weisheit betrachtet – keine Beweise sind.
Deshalb, lieber Paulus, ist man versucht zu sagen, auch wenn es an deinem Ego kratzt, du bist auch nur ein Mensch, der entsprechend seiner Einsicht und mit bestimmter Absicht schreibt. Man kann – und das waren die Korinther, die Epheser und nicht nur sie – auch anderer Auffassung sein, die Schrift anders auslegen, das Überlieferte anders interpretieren. Dagegen hast du mit aller Macht angekämpft. Deine Auslegung hatte zu zählen und sonst nichts. Mit deiner Arroganz hast du viele Widerstände herausgefordert: Keiner „der Obersten dieser Welt“ hat die heimliche, verborgene Weisheit Gottes erkannt, außer dir natürlich, denn: Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist und deshalb lehren wir mit Worten, die der Heilige Geist lehrt.
Mit Bezug auf Jesaja fragt Paulus weiter (1. Kor 2, 7-16): „Wer hat des HERRN Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen?“ und setzt hinzu: Wir aber haben Christi Sinn. Was aber steht bei Jesaja? Wer unterrichtet den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Verstand gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn die Erkenntnis und unterweise ihn den Weg des Verstandes (Jes 40, 13-14). Jesaja redet von der unvergleichlichen und vom Menschen nicht zu fassenden Weisheit Gottes. Paulus reklamiert ganz unbescheiden Gottes Weisheit für sich.
Paulus hatte ein Autoritätsproblem. Petrus, der von Jesus selbst und direkt eingesetzte Hirte, hatte wesentlich mehr Anerkennung als Paulus, der Konvertit, der ehemalige Pharisäer. Petrus war DER Jünger Jesus. Er hatte Jesus herausgefordert, war von ihm belehrt worden und schließlich von Jesus selbst erwählt worden. Da konnte Paulus nicht mithalten. Deshalb wurde er auch immer in Frage gestellt, musste um die Anerkenntnis dessen, was er lehrte, kämpfen. So argumentierte er geschickt: Ich habe den Heiligen Geist, deshalb rede ich auch in Christi Sinn. Wer anderer Meinung ist, ist noch in Sünde und nicht in Christi Sinn (1. Kor 2)
Wer ist Paulus, wer ist Appolos, fragt er? Ich habe gepflanzt, Apollos hat gegossen, Gott hat Gedeihen gegeben. Und dann kommt der Satz aus dem heutigen Predigttext: Ich aber habe den Grund gelegt als weiser Baumeister… (1.Kor 3, 6-10). Welchen Grund hat Paulus gelegt? Jesus Christus. Jesus Christus, der Grund von Paulus gelegt? Da kann man schon irritiert sein. Hat nicht Jesus gepflanzt? Ist nicht Jesus der Eckstein? War nicht Jesus der Baumeister? Was mit Gottes Wille und Wege? War Paulus nicht mehr und nicht weniger ein Arbeiter im Weinberg des Herrn wie jeder andere auch?
Doch, sagt Paulus, um gleich die Regeln des Wettbewerbs zwischen seiner und anderen Auslegungen festzulegen: Jeder wird seinen Lohn nach seiner Arbeit bekommen. Wird jemandes Werk bleiben, da er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen (=verpuffen), der wird Schaden leiden. Und damit die Verhältnisse auch klar sind, setzt er gleich wieder zu einer seiner typischen Fragen an, die den anderen für dumm verkauft: Wisst ihr nicht (ihr beschränkten fleischlich und nicht geistlichen denkenden Korinther), dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? So jemand den Tempel Gottes verderbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig. Niemand betrüge sich selbst. Welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein (1.Kor 3, 8-19). Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt: Denn dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott, denn, so Paulus, es steht geschrieben: ‚Die Weisen erhascht er in ihrer Klugheit‘, mit Bezug auf Hiob. Was sagt aber Hiob tatsächlich: Er macht zunichte die Anschläge der Listigen, dass es ihre Hand nicht ausführen kann; er fängt die Weisen in ihrer Listigkeit und stürzt der Verkehrten Rat“ (Hiob 5, 12-13).
Das Verhältnis von Paulus zu den Korinthern war schwierig und belastet. Die Korinther haben ihre eigene Einsicht vom Glauben, die nicht immer Paulus Einsicht ist, und so versucht er sie auf seine Schiene zu bringen. Noch schwieriger war die Beziehung zwischen Paulus und den Ephesern. Wenn es darum ging, seine Position durchzusetzen, war er nicht zimperlich. Er will Kirche bauen, auf seiner Theologie fußend und alles was ihn daran hindert, argumentiert er irgendwie weg, oft suggestiv oder mit einer Argumentation, die nicht wirklich nachvollziehbar ist. Er setzt „Beweise“ in die Welt, die keine Beweise sind, fern ab von dem was in den Evangelien steht, als Setzungen des Heiligen Geistes. Er behauptet, was Jesus nie behauptet hat, jedenfalls steht es so nicht in den Evangelien. Paulus predigt sein eigenes Evangelium.
Paulus ist radikal. Wer ihm nicht folgt, folgt nicht Christus und wird verflucht: So jemand den HERRN Jesus Christus nicht liebhat, der sei anathema, das heißt, der sei verflucht (1.Kor 16, 22). Oder gar: Denn obgleich ihr zehntausend Zuchtmeister hättet in Christo, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch gezeugt in Christo Jesu durchs Evangelium (1.Kor 4, 15). Und wehe, steht in unsichtbarer Klammer dahinter, ihr weicht von dem ab, was ich euch befohlen habe (1.Kor 11,17).
Der Brief an die Korinther beginnt mit: Paulus, berufen zum Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes (1.Kor 1,1). In allem was Paulus schreibt, stellt er sich auf einen Sockel, von dem ihn seither niemand mehr gewagt hat auf ein normal menschliches Maß herunter zu holen. Die Petrusbriefe beginnen demütiger: Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi (2.Petr 1, 1) oder bei Jakobus heißt es: Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi (Jak 1, 1). Paulus sieht sich als mehr, verpackt das, um nicht ganz unverfroren dazustehen, immer mit einem Satz scheinbarer Demut: Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum dass ich die Bildung der Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe vielmehr gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist (1.Kor 15, 9-10). Ein kurzer Rundumschlag des selbst ernannten Apostels gegen alle von Jesus ernannten Apostel.
Lieber Luther, man kann sich mit Blick auf die Erkenntnisse der heutigen Psychologie so seine Gedanken machen über Paulus. Die Metamorphose vom Saulus zum Paulus ist wohl nur zum Teil geglückt. Genauso verbissen, wie er zuvor die Christen bekämpft hat, so verbissen hat er als Christ für seine Theologie gekämpft. Genauso radikal, genauso unversöhnlich denen gegenüber, die anderer Meinung waren als er, man könnte fast sagen, so wie er als ausgebildeter Pharisäer im Dienste der weltlichen Macht über die Leichen der Christen gegangen ist, so radikal ist er nach seinem Seitenwechsel mit theologisch oder religiös anders denkenden umgesprungen. Seine Sündentheologie passt in dieses Muster der Ausgrenzung, genauso wie seine manchmal buchstäblich an den Haaren herbeigezogenen, logisch kaum nachvollziehbaren Ab- und Ausgrenzungsbemühungen gegenüber dem „Gesetz“.
Also hat Paulus gepredigt und also habt ihr geglaubt (1.Kor 15, 11). Lieber Luther, dieser Paulus hatte Sendungs- und Machtbewusstsein. Er wollte sich und seine Lehre, seine Theologie, seine Auslegung der Beziehung der Menschen zu Gott, durchsetzen. Er geht eigene Wege. Seine Lehre vom Heiligen Geist, seine Sündentheologie, die Kirche als der Leib Christi, seine Lehre von der Auferstehung, alles paulinisch. Auf Jesus kann hiervon so gut wie nichts zurückgeführt werden und wenig auf das Erste Testament. Auch dagegen grenzt er sich ab, während Jesus darauf baut. Er beruft sich so gut wie nie auf ihn oder das, was von ihm erzählt wird.
Lieber Luther, ich muss gestehen, ich lese, wie die Korinther und die Epheser, die paulinischen Texte oft mit einem gewissen Unmut: Zuviel, was nur bei Paulus steht und sonst nirgends in der Bibel. Was er schreibt, wirkt unter den anderen Texten wie ein Fremdkörper, zu viel führt in eine Sackgasse, zu viel was er sich und anderen argumentativ in der Luft hängend zumutet, verkleistert und vernebelt in der umständlichsten Sprache der gesamten Bibel. Es hat viele Monate gedauert, bis dieser Brief zustande gekommen ist, bis ich ihn mir zugetraut habe, weil ich weiß, dass ich mich in ein Wespennest setze. Es ist sicher nicht der letzte Brief, den ich dir über Paulus schreibe, aber der Anfang ist endlich gemacht. Es gibt noch viel über Paulus zu sagen, auch viel Positives, auch wenn das heute noch nicht so richtig zu Wort gekommen ist.
Herzliche Grüße
Deborrah

Sex, Crime & Rubikon

Lieber Luther,
manchmal sind die Auslassungen aussagekräftiger, als das, was dasteht. So ist es mit dem Predigttext dieser Woche. Er besteht nämlich aus Auslassungen (2.Sam 12, 1-10, 13-15a). Zweieinhalb Verse, die es in sich haben, fehlen. Warum?
David ist ein demütiger Mann. Er geht Gottes Wege, auch wenn sie meistens nicht sehr bequem sind. Es geht auf und ab in seinem Leben. Vom Hirten, zum Helden, zum Krieger, zum König, zum Verfolgten, zum Geschlagenen, zum Enttäuschten, zum Müden und immer Diener des HERRN. Er arbeitet dort, wo Gott ihn hinstellt. Aber, wo Stärke ist, ist auch Schwäche. Das gilt auch für David.
Er stolpert, wie später auch sein Sohn Salomon, über eine Frau. Er ist in der Beziehung kein Kind von Traurigkeit. Seine Vielweiberei ist in der Bibel bezeugt. Eines Tages wirft er nicht nur sein Auge auf die Frau eines anderen, schlimmer noch, er lässt ihren Mann ermorden. Er übertritt dabei zweifach Grenzlinien: Er begeht einen Diebstahl, indem er dem anderen die Frau stiehlt und er mordet auch noch dafür. Er bricht, wie ein Dieb in der Nacht, in den Schafstall des anderen ein und nimmt auf Grund seiner Machtfülle, was ihm nicht gehört.
Die Frau, Bathseba, widerstrebt, sie ist eigentlich mit ihrem Mann zufrieden, aber David respektiert das nicht. Er respektiert auch nicht, dass der Mann sein treuer Diener ist, der für ihn in den Krieg gezogen ist und sein Leben riskiert. Dann der absolute Fauxpas: David schickt den Mann des Objektes seiner Begierde durch seinen Heerführer dorthin, wo keiner überlebt. David stiehlt nicht nur die Frau, er liefert auch noch den treuen und loyalen Anhänger aus Eigennutz ans Messer (2.Sam 11). Szenen, die das Leben schreibt.
Der Prophet Nathan weißt David in einem Bild auf sein Fehlverhalten hin. Ein Reicher bekommt einen Gast und will ihm kein eigenes Schaf „zurichten“, sondern nimmt hierfür das Schaf des Armen. Das Schaf ist die Frau, der Gast Davids Begierde. David erkennt, dass dies Unrecht ist, aber nicht, dass er selbst es ist, der Unrecht getan hat. So sagt es ihm Nathan. David erkennt was er selbst nicht erkannt hat und erschrickt in den Tiefen seiner Seele: Ich habe gesündigt wider den HERRN. Nathan antwortet: Ja, was antwortet Nathan?
So hat auch der HERR deine Sünde „weggenommen“; du wirst nicht sterben. So übersetzt du, lieber Luther. Dass dieses „weggenommen“ nicht so ganz in den Zusammenhang passt, ist dir sicherlich auch aufgefallen. Nathan hat nicht die Vollmacht für Gott von Sünden freizusprechen. Woher kommt diese Aussage plötzlich? Kein Prophet spricht in der Bibel von Sünden frei. Es ist, lieber Luther, ein Übergang gemeint. „Abar“ steht im Hebräischen für Übergang von einem Flussufer zum anderen. Es ist gemeint: Du – David – bist vom Weg des Herrn abgewichen und hast den Rubikon zur Sünde überschritten, aber, ich halte dir die Treue, du wirst auch in dem Land jenseits des Sündenflusses nicht für mich sterben.
Das ist die Kernaussage der ganzen Geschichte, die Kernbotschaft. Diese Zusage Gottes, dass er, sofern wir bereuen und umkehren, uns nicht vor seinen Augen sterben lässt. Auch wenn wir wie David den Rubikon überschreiten. Auch wer noch so heilig ist, wie David, sündigt. Jeder sündigt. David ist uns ein Trost und ein Vorbild, wie wir damit umzugehen haben. An David können wir uns festhalten.
Dieses Herzstück der Geschichte fehlt im Predigttext und damit bin ich bei den oben angesprochenen Auslassungen. Sind sie zu eingebettet in das Leben, das oft alles andere als feinfühlig daherkommt? Angst vor Klartext? Die kennt Nathan nicht.
Als Konsequenz prophezeit er: Die Folge deines Fehlverhaltens ist, dass von deinem Haus das Schwert, das du gegen Uria erhoben hast, in alle Ewigkeit nicht lassen soll, weil du von meinem Weg abgewichen bist. Die böse Tat fällt auf den, der sie verübt hat, selbst zurück. Der Mensch, der – meist unwissend und blind – gegen sich selbst wütet und sich selbst zerstört, ungeachtet der Folgen für seine Kinder und die Nachwelt. Nun soll von deinem Haus nicht lassen das Schwert ewiglich. Gott verhindert nicht, Gott greift nicht ein, Gott lässt Mensch gegen sich selbst wüten. So ist es bis heute. Mag jemand widersprechen? Nichts zu lernen? Wieso muss man das auslassen? Worin besteht der Unterschied in menschlichem Verhalten zwischen vor 2000 Jahren und jetzt?
Und weiter prophezeit Nathan: Siehe ich will Unglück über dich erwecken aus deinem eigenen Hause und will deine Weiber nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei deinen Weibern schlafen soll an der lichten Sonne“ (2.Sam 12, 10-11).
Das klingt herbe. Da haben die betreffenden Kirchenoberen – moralinsauer – wahrscheinlich gedacht: Das lassen wir lieber auch weg. Noch mehr sexuelle Ausschweifung ist an dieser Stelle der Gemeinde nicht zuzumuten. Ist es das? Haben sie da nicht – ganz Mann – mehr auf die nackten Tatsachen geschielt als auf die Botschaft, mehr Fleisch als Geist vor Augen, blind gegenüber der Realität?
Was Nathan ankündigt, passiert tatsächlich, das lernt man, wenn man ein paar Kapitel weiter liest, es erwächst Unglück aus dem eigenen Haus: Einer von Davids Söhnen, Absalom, verschwört sich gegen ihn, putscht und tut, was heute noch aktuell in solchen Situationen weltweit passiert: Er vergewaltigt die Frauen seines Vaters auf Anraten eines übergelaufenen Beraters (2.Sam 16, 21-23). Nicht aktuell? Warum stehen in der Bibel solche Greueltaten? Bibel ist Mensch wie er leibt und lebt. Bibel zensiert das Leben nicht. In der Bibel stehen die Greueltaten der Menschen, die sich in den 2000 Jahren seither nicht geändert haben. Wer will den ersten Stein auf diese Bibelstelle werfen?
Um was geht es also? Zum einen um Sex, um machtmissbräuchlichen, erzwungenen Sex, um Vergewaltigung als Kriegswaffe. Um männliche Gewalt, die Frauen aufgezwungen wird. Das dies nicht dem Gebot der Nächstenliebe entspricht, bedarf keiner Erläuterung. Es geht aber auch um Diebstahl, um das An-sich-Denken auf Kosten des anderen, das Stehlen der Wohlfahrt des anderen, um das Hintanstellen der Interessen des Nächsten, selbst wenn dieser einem freundlich gewogen ist und einen unterstützt. Es geht um die Heimlichkeiten, die Ränke, die geschmiedet werden, um seine eigenen Ziele zu erreichen: Denn du hast es heimlich getan; ich aber will dies tun vor dem ganzen Israel und an der Sonne.“ (2.Sam 12, 12). Alles kommt irgendwann ans Tageslicht, wird von der Sonne beschienen und muss diesen Schein aushalten.
Jesus formuliert es so: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer nicht zur Tür eingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder (Joh10, 1). Und es geht um die Konsequenzen: Gehe ich mit schlechtem Beispiel voran, gehen andere nach und ich kann mich nicht beklagen, auch nicht über die Kinder. David hat sich nie über Absalom beschwert, im Gegenteil, er hat schwer getrauert um dieses verlorene Kind und ist ihm immer wieder entgegen gegangen, oft zu eigenen Lasten. Auch das zum Lernen.
Lieber Luther, man hätte das Abscheuliche auch, wie der Predigttext es tut, verschweigen können. Damit wir uns damit nicht befassen müssen. Wieso tut es die Bibel nicht: Weil sie sonst ihren Zweck verfehlen würde. Damit wir an ihr unsere eigenen Greueltaten erkennen und am Beispiel lernen. Man schaue auf die Kriege und Vergewaltigungen in dieser Welt. Wer meint, Vielweiberei sei in unseren Breitengraden abgeschafft, schaut auf das Gesetz, nicht auf das Leben und die nackten Tatsachen. David hat sich Gott und dem Leben mit allen Konsequenzen demütig gestellt wie es ist. So sollten wir es auch halten.
Herzliche Grüße
Deborrah