Stabat Mater – Marias Schmerz

Lieber Luther,

obwohl Marienverehrung ja nicht gerade evangelisch ist, sollte das Stabat Mater auch in der evangelischen Kirche einen Platz haben. Vielleicht kennst du es ja auch als alter Mönch. Es ist so um 1200/1300 entstanden, bevor die Kirchen sich teilten. Es ist sozusagen eine gemeinsame Wurzel.

Es sei allen Müttern und Vätern zugedacht, die ein Kind verloren haben, auch dir. Sie kennen den Seelenschmerz, den das verursacht und können mit Maria mitfühlen und mitweinen und umgekehrt. Der Schmerz findet im „Stabat Mater“ eine Heimat. Maria ist in diesem Schmerz unsere Schwester und eine Mutter, zu der wir unseren Schmerz tragen können. Sie weiß, von was wir reden, und sie weiß, wie bedürftig wir in unserem Schmerz sind – auch nach langer Zeit.

Stabat mater dolorosa
Iuxta crucem lacrimosa,
Dum pendebat filius.
Cuius animam gementem,
Contristatam et dolentem
Pertransivit gladius.

O quam tristis et afflicta
Fuit illa benedicta
Mater unigeniti!
Quae maerebat et dolebat,
Pia Mater, dum videbat
Nati poenas inclyti.

Quis est homo qui non fleret,
Matrem Christi si videret
In tanto supplicio?
Quis non posset contristari,
Piam matrem contemplari
Dolentem cum Filio?

Pro peccatis suae gentis
Vidit Iesum in tormentis
Et flagellis subditum.
Vidit suum dulcem natum
Morientem desolatum,
Dum emisit spiritum.

Eia mater, fons amoris,
Me sentire vim doloris
Fac, ut tecum lugeam.
Fac, ut ardeat cor meum
In amando Christum Deum,
Ut sibi complaceam.

Sancta mater, istud agas,
Crucifixi fige plagas
Cordi meo valide.
Tui nati vulnerati
Tam dignati pro me pati,
Poenas mecum divide!

Fac me vere tecum flere,
Crucifixo condolere,
Donec ego vixero.
Iuxta crucem tecum stare
Ac me tibi sociare
In planctu desidero.

Virgo virginum praeclara,
Mihi iam non sis amara:
Fac me tecum plangere.
Fac ut portem Christi mortem,
Passionis fac consortem,
Et plagas recolere.

Fac me plagis vulnerari,
Cruce hac inebriari
Et cruore Filii,
Flammis urar ne succensus,
Per te Virgo, sim defensus
In die iudicii.

Fac me cruce custodiri,
Morte Christi praemuniri,
Confoveri gratia.
Quando corpus morietur,
Fac ut animae donetur
Paradisi gloria.

Lieber Luther, ich glaube, auch der Schmerz über all das Geschehene, für das es keine Worte gibt, muss einen Ort haben, auch ihn muss man durchleben, ihn nicht abprallen, sondern durch einen durchfließen lassen. Das Wasser der Tränen dieses Schmerzes hat heilende Wirkung auf unsere Wunden, wenn auch Meere durchfließen müssen, bis die stärksten Schmerzen nachlassen.

Ohne dem Schmerz und dem Leid seine Zeit und seinen Raum zu geben, gleich zum Halleluja überzugehen, geht nicht. Jesus ist erst am 3.Tag auferstanden. Schmerz und Leid ist notwendig, um zum Ostermorgen zu gelangen. So halten wir diesen Schmerz aus in der Hoffnung, dass irgendwann der Ostermorgen kommt. Dass dieser kommt, sei ein Osterwunsch für all diejenigen, die es betrifft.

Hier geht es zum deutschen Text.

Gregorianisch und in Latein:

Karfreitaglich traurig grüßt dich
Deborrah

Wo ist hier Gott? Predigt zu Karfreitag

Lieber Luther,
ich schicke dir unten die Karfreitagspredigt, die ich letztes Jahr gehört habe. Es ist eine Predigt, von einem der weiß, was Karfreitag heißt. Ich werde sie mit Sicherheit mein ganzes Leben nicht vergessen, so eingebrannt hat sie sich in mir.
Was Karfreitag heißt, dem muss man sich erst einmal stellen und den Mut haben, dies auch noch zu äußern. Die Predigt so an Karfreitag zu halten, hat Mut und Kraft gekostet. Ich bin bis heute dankbar, dass ich sie hören durfte, obwohl sie mich fast zerlegt hat und ich sie bis heute kaum ertragen kann. Aber genau das ist Karfreitag: Man kann das Geschehen bis heute kaum ertragen.
Es ist eine Karfreitagspredigt, die dort hingeht, wo es schmerzt, ans Kreuz. Sie soll deshalb nicht vergessen sein.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Wo ist hier Gott? – seit Jahrtausenden hallt diese Frage über unsere Erde – gesprochen von schreienden und klagenden Lippen aus verzweifelten und verstummten Herzen.
Wo ist hier Gott? – diese Frage lässt die kostbaren Vorhänge unseres Glaubens zerreißen, wenn wir uns mit den Abgründen menschlichen Handelns und Verhaltens konfrontiert sehen, oder wenn wir fassungslos in eine menschliche Tragödie hineingeworfen sind.
Wo ist hier Gott? – Das ist auch die Karfreitagsfrage schlechthin.
In seinem Buch „Die Nacht zu begraben“ hat der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel, selbst ein Überlebender des Holocaust, dieser Frage ein Gesicht gegeben – ein Kindergesicht.
Er berichtet darin von einer Exekution. Er schreibt:
„Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich.
Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit.
Der Lagerchef verlas das Urteil gegen zwei Männer und ein Kind.
Alle Augen waren auf das Kind gerichtet.
Es war aschfahl, aber fast ruhig und biss sich auf die Lippen. Der Schatten des Galgens bedeckte es ganz.
Drei SS-Männer dienten als Henker.
Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlingen eingeführt.
„Es lebe die Freiheit!“ riefen die beiden Erwachsenen.
Das Kind schwieg.
„Wo ist Gott, wo ist er?“ fragte jemand hinter mir.
Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um.
Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager.
Am Horizont ging die Sonne unter.
„Mützen ab!“ brüllte der Lagerchef.
Seine Stimme klang heiser.
Wir weinten.
„Mützen auf!“
Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Ihre geschwollenen Zungen hingen bläulich heraus.
Aber der dritte Strick hing nicht reglos: der leichte Knabe lebte noch …
Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf.
Und wir mussten ihm ins Gesicht sehen.
Er lebte noch, als ich an ihm vorüberschritt, seine Zunge war rot, seine Augen noch nicht erloschen.
Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: „wo ist Gott?“
Und ich hörte eine Stimme in mir antworten:
„Wo ist er? Dort – dort hängt er am Galgen …“
Dort hängt er – am Galgen.
Ja, das ist die Antwort des Karfreitags auf die Frage nach der Anwesenheit Gottes unter uns Menschen.
Es ist die abgründigste Antwort, die es auf die Frage, „Wo ist hier Gott?“ überhaupt geben kann.
Ohne diese Antwort als abgründiger Hintergrund wird jeder Tabernakel zum goldenen Kalb.
Es ist wunderschön und ergreifend, Gott loben und danken zu dürfen und zu können, wenn wir voller Glück sind.
Es ist erhebend, ihn zu erfahren inmitten seiner Natur, beim Spiel der Wolken, im Konzert der Vögel und in der Sinfonie der Schöpfung.
Es ist anerkennenswert, ihm durch die regelmäßige Erfüllung der religiösen Pflichten die Ehre zu erweisen.
Es ist einfach, sich diese Frage gar nicht zu stellen und das Leben als von selbst verständlich zu nehmen, ohne dabei Gedanken an einen göttlichen Schöpfer zu bekommen.
Wo ist hier Gott?! – diese Frage halte ich für das große Vermächtnis des jüdischen Volkes an die Menschheit.
In keinem anderen Volk wurde diese Frage so leidenschaftlich gestellt.
In keinem anderen Volk wurden so unterschiedliche und oft auch widersprüchliche Antworten auf sie gefunden.
Die Gottesknechtslieder bei Jesaja, die bereits ein paar Jahrhunderte vor Jesus geschrieben wurden, zeigen Antwortahnungen.
Im vierten Lied vom Gottesknecht, das wir gerade als erste Lesung gehört haben, leuchtet die Erkenntnis durch, auf welcher menschlichen Seite Gott wirklich steht.
In seinem Brief an das jüdische Volk sieht der Verfasser des Hebräerbriefes die leidenschaftliche Solidarität Gottes mit den Menschen im Lebens- und Leidensweg Jesu auf den Punkt gebracht und verdichtet.
In Jesus hält Gott sich weder vom menschlichen Zweifel, noch von seinen Versuchungen, noch von den menschlichen Schwächen und Schmerzen und Hoffnungslosigkeiten fern.
Gott hält sich die menschliche Not nicht vom Leib.
Gott hält sich auch unsere Schmerzen nicht vom Leib.
Gott hält sich auch unsere Ohnmacht nicht vom Leib.
In Jesus hält Gott all das aus.
In Jesus ist er nicht nur solidarisch mit unserer Not.
Er stellt sich nicht nur auf die Seite der Notleidenden und Verzweifelten.
Er wird selber zum Notleidenden und Verzweifelten.
Hier ist er zu finden. Genau hier.
Im fassungslosen Abgrund der menschlichen Ohnmacht.
Im zugeschnürten Herzen angesichts der unmenschlichen Möglichkeiten und Taten so vieler Einflussreicher und Mächtiger quer durch alle Generationen und Kulturen.
Wo ist hier Gott? –
Mitten drin.
Mitten im Leid. Mitten im Schmerz.
Aber auch: Mitten in Deinem Leid. Mitten in Deinem Schmerz.
Mitten in meinem Leid. Mitten in meinem Schmerz.
Nicht als strafender Richter.
Nicht als willfähriger Henker.
Nicht als Zuschauer.
Nicht mal als Besucher.
Sondern er ist da als Schrei eines jeden Menschen,
als Tränen, als Gebet, als Bitte.
Gott ist da als mein Schrei, als meine Tränen, als mein Gebet, als meine Bitte.
In Jesus hat Gott durch Leiden hindurch Gehorsam gelernt! heißt es im Hebräerbrief.
Das ist der Grund des ewigen Heils.
Es ist seine Ohnmacht, die uns heilt, nicht seine Allmacht.
Gott weiß nicht nur um das Leid, er hat nicht nur Mitleid mit den Leidenden,
er leidet es selbst mit.
Das ist die ungeheuerliche Botschaft des Karfreitags, liebe Schwestern, liebe Brüder.
Hier, mitten drin, mitten drin im Leid, also auch mitten drin in unserem eigenen Leid leuchtet uns das Angesicht Gottes auf – und dadurch werden wir nicht nur, sondern sind wir heil.
Dies glauben zu lernen – durch allen Zweifel und alle Verzweiflung hindurch – ist das Vermächtnis, das weiterzutragen und in die Welt zu leben uns Christen aufgegeben ist.
Mitten drin im Leid unserer großen und auch unserer kleinen Welt leidet und hofft und bangt Gott selber mit.
Er lässt sich den Schmerz unter die eigne Haut gehen.
Als Jesus beim Tod seines Freundes Lazarus die verzweifelten Angehörigen sah fuhr es ihm, wie es wörtlich übersetzt heißt, in die Eingeweide.
Er kann wirklich mitfühlen bei unserem Protestschrei gegen den Tod.
Ja, er betet und bittet selber mit lautem Schreien und unter Tränen.
Cool bleiben ist seine Sache nicht.
Sich den Schmerz fern halten auch nicht.
Auch wenn uns die eben als Evangelium gehörte Leidensgeschichte nach Johannes Jesus als den zeigt, der aufrecht, entschlossen und würdevoll, ja schon göttlich entrückt den Weg des Kreuzes zu Ende ging. 
Hier bei Johannes erkennen wir Jesus als den göttlich Wissenden.
Da scheint das Menschliche an Jesus etwas übergeblendet zu sein.
Aber wir dürfen gewiss sein, dass ihm nichts Menschliches fremd ist – auch nicht das Allzumenschliche.
Und auch, dass er sich selbst das Unmenschliche antun lässt.
Das ist seine Antwort auf die Frage: Wo ist hier Gott?
Mitten drin, mitten drin im Leid,
auch mitten drin in unserem eigenen Leid leuchtet uns in Jesus das Angesicht Gottes auf – und dadurch sind wir heil.
Möge dies zu unserer Gewissheit werden –
und unser Leben prägen.
Amen.
(P. Jonathan Düring OSB, Predigt zu Karfreitag 2012)

Von der Einsamkeit Jesu

Lieber Luther,
fast würde ich sagen: bald ist es soweit. Die Bedrohung, die Jesus verspürt hat, als er wusste, dass seine Zeit nun da ist, ist bis heute zu spüren. Sie bedroht uns noch heute, ist – wie alles was einmal war – heute noch in Raum und Zeit.
Ich weiß schon lange, was mich heute bedrängt und deshalb schreibe ich dir, um mir meine Bedrängung von der Seele zu schreiben. Es geht um die unendliche Einsamkeit Jesu in den Tagen als ihn seine engsten Begleiter verließen und seine Häscher näher kamen.
Wie unendlich allein muss er sich gefühlt haben?
Wie sehr muss ihn das, was auf ihn zukommt, bedrängt haben?
Wie sehr muss er sich einen Menschen gewünscht haben, der seine Angst mitträgt?
Wo waren seine Jünger und Jüngerinnen?
Wo war seine Mutter?
Wo waren sie alle?
Sie waren alle da und doch nicht da, haben geschlafen, haben weder gesehen noch gehört. Alle waren mit sich selbst mehr beschäftigt, als mit ihrem Nächsten. Er aß mit ihnen das Osterlamm und sie begriffen nicht, was sie aßen. Wachet und betet, betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt, aber sie hörten ihn nicht und verstanden ihn noch weniger.
In seiner Not suchte er die Einsamkeit, um mit dem zu reden, der ihn allein in seiner großen Not hörte. Seine Angst war aber so groß, dass er fast irre daran wurde, „Und es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde“ (Luk 22,44).
Er hat angesichts der menschlichen Bösheit Blut und Wasser geschwitzt. Das sollten wir in der Klarheit, wie es da steht, auch aushalten. Auch dass Mensch Mensch völlig allein gelassen hat. Sie hingen an seinen Lippen, aber seine Bedürfnisse als Mensch erkannten sie nicht. Das geht auch uns heute noch an.
Jesus rang „mit dem Tod“ und betete gegen ihn an. Sein Blut drängt hier schon die Erde. Bevor er physisch sein Blut vergießt, vergießt er es seelisch. Und Gott schickte einen Engel, der ihn stärkte. Er löste das eiserne Band der Angst, das seine Brust so einschnürte, dass er dachte zu ersticken. Der seelische Schmerz, den er verspürte, war mindestens so stark wie der physische später. Seelenschmerz kam vor körperlichem Schmerz. Jetzt war er bereit, den letzten Weg zu gehen. Gott gab ihm Stärke und Kraft. Seine Seele war vorbereitet.
Ab jetzt lief alles zwangsläufig und wie in einem Tunnel für ihn ab. Das Drehbuch hatte er schon im Kopf, nichts war überraschend.
Was kann uns trösten, uns helfen den Schmerz über das menschliche Alleinlassen Jesu, über das menschliche Versagen in der Anfechtung, angesichts der weltlichen Macht, angesichts der Not und des Elends des einzelnen, zu ertragen? Dieser Schmerz ist heute noch in der Welt, denn der Mensch hat sich in der Beziehung nicht gebessert.
Gott hat Jesus bereits seine Corona aufgesetzt, bevor er zur Schlachtbank ging, hat ihm zum König der Welt gemacht, bevor es auf sein Kreuz geschrieben wurde. Dies gab ihm die Kraft und die Würde, das was kam, wie ein König zu tragen. Die ihm so verliehene göttlichen Aura schützte ihn, so dass er die Welt, seine Jünger, seinen Verräter, seine Schergen, seine Richter, seine Verspötter, seine Mörder schon in der Halbdistanz zu seinem Vater wahrnahm.
Deshalb konnte er alles tragen wie ein Lamm, war stumm wie ein Lamm. Sein Vater war sein Hirte und hatte ihn auf die Schulter genommen. So konnte er sich verlassen, dass er nicht verlassen war, so konnte er das Leben loslassen und uns auf seine Schultern nehmen.
Oder mit dem Johannesevangelium (Joh 17,4): Gott hat ihn verklärt. Das heißt nichts anderes. Jesus war sich seines Vaters sicher. Das hat er in der äußersten Bedrängnis in Klarheit erkannt. Das hat in ihm die innere Bedrängnis geklärt. Das hat ihm – trotz dessen, was auf ihn zukam – den Blick von sich weg, wieder auf seine Jünger, auf uns, gewendet. Deshalb konnte er jetzt für uns anstatt für sich beten.
Die Einsamkeit war von ihm genommen und er war bereit seine Verantwortung als Gottessohn zu tragen, uns als Lamm auf seine Schultern zu nehmen. Jesus wird zu unserem hellwachen Hirten, während wir schlafen. Indem er seine Angst vor und sein Vertrauen in seinen Vater legt, wird er uns zum Vater.
Was schlaft ihr, wacht auf, betet, dass ihr nicht in Anfechtung verfallt. Eigentlich müsste dieses „betet“ bei uns in den Ohren klingeln, jedoch, wir sind bis heute taub, schlafen bis heute unseren Schlaf und lassen ihn bis heute allein.
Wir müssen eigentlich nur tun, was er uns gesagt hat, in sein Gebet einschwingen, damit wir zu seiner Klarheit aufschwingen. Das meint er, wenn er sagt er verklärt seine Jünger und damit in ihrer Nachfolge uns. Wir müssen aber geistig wach genug sein, damit wir bereit sind.
Mit körperlicher Wachheit hat das nichts zu tun. Einmaliges eine Nacht durchzuwachen hilft da rein gar nichts, ist frömmeln, wenn man geistig schläft und nicht den Rest des Jahres wach ist. Die Anfechtungen sind eine tägliche Bedrohung und Herausforderung. Wollen wir Jesus nicht wieder allein lassen, müssen wir immer wach sein.
Das hat übrigens Jesus schon im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen zu vermitteln versucht (Matth 25,1-13): Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.
Indem mir dieses Geschehens klar wird, schwingt mein Inneres um, von einem tiefen Schmerz und Mitleid mit Jesus und den überforderten Menschen, in tiefe Dankbarkeit.
Lieber Luther, es hat mir gut getan, das mit dir zu durchdenken. Lass uns doch anstimmen:
Wenn wir an andern schuldig werden und
Keiner unser Freund mehr ist,
wenn alles uns verklagt auf Erden,
dann sprich für uns,
Herr Jesu Christ
(aus: Seht hin er ist allein im Garten, ev. Gesangbuch, Nr.95, von Friedrich Walz)
Herzliche Grüße
Deborrah

Fromm und Frömmeln

Lieber Luther,

wir sind in der Karwoche. Es gibt Zeiten, da spürt man den, der uns trägt, mehr als in anderen Zeiten. Ich nenne sie „heilige Zeiten“. Alles in mir ist aufgeregt, ohne einen äußeren Grund zu haben. Es liegt etwas in der Luft, das ich verstandesmäßig nicht fassen kann und trotzdem ist es etwas Anfassbares.

Heute, und eigentlich schon länger, beschäftigt mich das Wort „fromm“. Ganze Bücher sind darüber geschrieben, „wild und fromm“. Ich kann nichts mit „fromm“ anfangen, es klingt nichts in mir auf, absolut nichts. Das hat mich schon mal betroffen gemacht. Habe ich da etwas nicht begriffen, fehlt mir da etwas? Was ist „fromm“? Kann man an „fromm“, obwohl es häufig in kirchlicher Sprache auftaucht, einfach vorbeigehen und „fromm“ nicht beachten.

Jetzt ist es mir im Sinne von „frömmeln“ begegnet. Das bewegt mich nun doch. „Frömmele“ ich und weiß es gar nicht? Weiterlesen „Fromm und Frömmeln“

Es walte Gott – Vom Dienen II

Lieber Luther,
am Sonntag habe ich noch einen flammenden Appell über das Dienen an dich geschickt. Heute bin ich einen Schritt weiter. Wovon ich letzten Sonntag geschrieben habe, war nur eine Seite der Medaille, es gibt auch eine andere.
Dietrich Bonhoeffer hat die Medaille umgedreht (in: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung):
„Ich glaube,
dass Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein
Ich glaube,
dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum [d.h. zeitloser Wille]  ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“
Gott wartet auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten. Er steht  uns bei und lässt aus dem, was du tust, nach seinem Willen Gutes entstehen.
In der Sicht bedient sich Gott des Menschen und das funktioniert nur, wenn sich der Mensch von ihm bedienen lässt. Das entspricht meiner Überzeugung, so kann ich mitgehen. Aber, Grundthema bei Dietrich Bonhoeffer ist: der verantwortlich handelnde Mensch, der der nicht nur zuschaut, sondern aktiv handelt, im Vertrauen und ruhend in Gott. Das sind die beiden Seiten der Medaille.
Auch das will gesagt sein: Ich habe in meinem letzten Brief  zu kurz gedacht. Ich will mich entschuldigen bei dem, den ich im Blick hatte.
Lieber Luther, wir sollten uns öfter an Menschen wie Bonhoeffer erinnern. Seine Gedanken können ohne weiteres in die Gegenwart transformiert werden. Wir  sollten bei ihm lernen.
Herzliche Grüße
Deborrah

Vom Dienen

Lieber Luther,

gestern hieß es als Schlusswort in der Predigt, man müsse sich nur gefallen lassen, dass Gott uns bediene, dann würden die Dinge gut. Wie in der Gastwirtschaft. Ich bestelle und Gott tut mir Gutes. Ist Glaube Konsum göttlicher Wohltaten? Ist Glaube ein bloßes Lassen, ein pures sich Gott überlassen? Oder ist da etwas mehr von Gottes Volk gefordert?

Da scheinen unterschiedliche Geisteshaltungen aufeinanderzutreffen. Welcher ich zuneige, ist dir, lieber Luther, bekannt. Ich mache keinen Hehl daraus. Da bin ich ganz calvinistisch-protestantisch. Jedoch mag ich es mir nicht so leicht machen und doch nochmals in die Bibel schauen, was ich da begreife. Oft sind die Dinge ja nicht einfach schwarz und weiß.

Für das Alte Testament lässt sich die Frage leicht beantworten. Alle Propheten und hervorgehobenen Gottesmänner und -frauen haben sich als Knechte und Diener Gottes gesehen. Alle haben einen göttlichen Auftrag vernommen, den sie unter allerlei Widrigkeiten versucht haben umzusetzen. Alle haben gehadert und gelitten, bis hin zur Verzweiflung, zur Erschöpfung, zur Lebensmüdigkeit. Gott hat sie aber nicht aus ihrem Auftrag entlassen, bis er erfüllt war. Sie waren Knechte, die folgsam ihren Dienst im Auftrag Gottes erfüllt haben. Bequem hatte es keiner, jeder ist gestrauchelt. Alle waren bis zum Ende Diener Gottes, im Dienste Gottes, wie fehlbar sie auch waren, wie viel Selbstzweifel sie auch plagten, wie müde und überfordert sie sich auch fühlten. Das können wir von ihnen lernen.

Das Leben dieser Gottesdiener und –dienerinnen war alles andere als nur „zulassen, dass Gott wirkt.“ Was heißt das jeden Tag, wenn das Volk Hunger hat, ein Gemetzel bevorsteht, die Loyalität wankt? Sie mussten Entscheidungen treffen – manchmal auch falsche, sie mussten handeln, sie mussten sich der jeweiligen Lebenswirklichkeit stellen. Glaube war und ist nicht abgekoppelt von den Fährnissen des alltäglichen Lebens. Der Mensch ist gefordert, es kommt seltenst ein Deus ex Machina, der die Situation per Fernlösung rettet. Glaube ist keine Schönwetterveranstaltung, in der sich immer alle lieb haben. Auch bei Gottes Heiligen nicht. Auch das können wir von ihnen lernen.

Mensch ist nicht Gottes Marionette. Auch wenn Gott mit einem ist, ist es der Mensch, der die Verantwortung trägt, der für sein Tun verantwortlich ist, der hört und übertönt, der handelt und unterlässt, der liebt und verletzt. Je weniger er Gottes Wort hört und je weniger er versteht, was Gott will, desto mehr irrt er, geht er am Willen Gottes vorbei.

Diese Eigenverantwortlichkeit des Menschen hat auch Jesus nicht von den Menschen genommen. Im Gegenteil, er ist gestorben, weil Mensch in dem, was er selbstverantwortlich tut, irrt und vom rechten Weg abweicht. Weil Mensch eben Mensch ist und nicht Christus.

Aber Jesus hat auch den Dienst eingefordert: „Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“ (Joh 12,26). Auch die Hierarchie hat er klargestellt: „Ihr heißt mich Meister und Herr und saget recht daran, denn ich bin es auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen. …Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer denn sein Herr, noch der Apostel größer denn der ihn gesandt hat“ (Joh 13,13ff). Das ist eindeutig, weder Gott noch Christus ist unser Diener, das sollten wir uns hinter die Ohren schreiben.

Und immer wieder die Botschaft: Haltet meine Gebote und erfüllt euren Auftrag: „Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“ (Joh 17, 18). Und er hat vorhergesagt, dass seine Diener schwer an und in der Welt leiden werden, auch die Männer und Frauen des Neuen Testaments, nicht nur diejenigen des alten. Auch das sollten wir hören.

Jesus hat den Jüngern die Füße gewaschen, weil er ihnen ein Beispiel vom Dienen und von Demut geben wollte. Seht her, ich bin mir dafür nicht zu schade. Er hat ihnen das ins Stammbuch geschrieben als Beispiel für den Dienst am Nächsten, den er von ihnen erwartete. Das sollten wir beherzigen.

Jesus war, wie die Propheten des Alten Testaments, im Dienste Gottes unterwegs, aber sicher nicht, um die Menschen zu bedienen, sondern sie zu lehren, Gottes Wort und Gebot zu halten. Es lag ihm absolut fern, menschliche Bequemlichkeiten zu bedienen, er hat es den Menschen in seiner Umgebung zu keiner Zeit leicht gemacht. Er war streng und nahm es mit dem Wort genau. Jesus war ein Diener Gottes und des Wortes, aber keiner, der sich von Menschen in Dienst stellen und instrumentalisieren ließ. Das sollten wir nicht verwechseln.

Lieber Luther, Altes und Neues Testament sind in dieser Botschaft vom Dienst und der Dienerschaft des Gottesmenschen meines Erachtens deckungsgleich. Gott liebt mich, aber er bedient mich nicht, er ist der HERR und ich sein Knecht. Ich denke, lieber Luther, davon kannst auch du ein Lied singen.

Herzliche Grüße
Deborrah

Schuld

Lieber Luther,
je näher wir Ostern und dem Verrat an Jesus kommen, desto mehr sind Absetzbewegungen zu spüren: Ja nichts mit Jesu Tod zu tun haben, ja nicht schuldig sein, das sind immer die anderen. Es gibt ein paar Kandidaten, die sich anbieten.
Zum Beispiel Kaiphas: „Ihr wisset nichts; bedenket auch nichts; es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn dass das ganze Volk verderbe“ (Joh 11, 49f). Da lässt sich der Schuldige leicht finden.
Oder waren es Judas oder Pilatus?
Oder doch die Wunder, die Jesus vollbrachte?
Oder das gespannte Verhältnis von Jesus zu Pharisäern und Schriftgelehrten?
Oder haben die Entscheidungsträger nur verantwortlich gehandelt, weil sonst die Römer für Ruhe und Ordnung nach ihren Vorstellungen gesorgt hätten?
Oder wurden die Römer nur vorgeschoben, um eigene Motive zu verdecken?
Viele „Oder“, viele Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Es ist bequem Erklärungsmuster im historischen Kontext zu suchen. Aber ist das auch so gemeint?
Kaiphas sagte, was er sagte, in seiner Funktion als Hoherpriester, weissagte, denn „Jesus sollte sterben für das Volk“. Diese Verheißung zieht sich genauso durch das Alte Testament wie die Ankündigung von Jesu Geburt. Nur können wir mit dem Tod schlechter umgehen. Das sehen wir nicht als Grund zur Freude an, feiern tun wir lieber bei Jesu Geburt.
Jesu Tod hat was mit Schuld zu tun, auch mit unserer Schuld. Darüber sollten wir uns Gedanken machen, weniger um die historischen Begebenheiten. Jesus wusste, dass er durch Menschenhand und Menschenschuld sterben wird. Er ist deshalb geboren und gestorben, um unserer Schuld willen, die wir auf uns laden.
Am Tod Jesu hatte im Prinzip niemand „Schuld“. Es war von Gott so vorherbestimmt. Das war auch denjenigen, die eine Rolle dabei spielten, vorherbestimmt. Die Schrift, das Wort, musste erfüllt werden. Der Menschenanteil hierbei wird überschätzt.
Unterschätzt wird dagegen die jeweilige persönliche Schuld eines jeden aus Gottes Volk. „Er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war“ heißt es bei Jesaja. Er ist geboren und gestorben, um unsere Sünden vor Gott zu tragen und um unsere Verzeihung zu erlangen. Jeder, der sich zum Volk Gottes rechnet, darf sich da angesprochen fühlen und ist da angesprochen. Auch diejenigen, die zerstreut sind, die Gott aus dem Blick verloren haben, die er aber trotzdem fest im Blick hat.
Lieber Luther, wir glauben gern, dass Jesus uns von Gott geschenkt ist, wir glauben auch gern, dass er gestorben ist, um uns zu erlösen, unseren Anteil daran, ignorieren wir gern. Das ist eine Botschaft, die nicht gern gehört wird, treibt vielleicht die Menschen aus der Kirche. Das kann man sich bei den schon lichten Reihen kaum erlauben. Deshalb lieber positive Botschaften senden, Gott und Jesus die Arbeitspakete zuschieben und uns selber auf das Bitten um Vergebung der Sünden beschränken. Reicht das aus? Nein.
Gott verlangt eine Umkehr, er verlangt einen willentlichen Akt der Reue, keine oberflächlichen Lippenbekenntnisse, sondern ein inneres Schuldeingeständnis, vor sich selbst und vor ihm:
Auch mein Schuldpaket hat Jesus gen Golgatha geschleppt,
auch ich habe einen Nagel durch seine Handfläche getrieben,
auch ich habe ihn und sein Wort mehr als einmal verraten.
Lieber Luther, es fange jeder bei sich selbst an nach seiner Schuld zu suchen. Du bist nicht müde geworden, darüber zu predigen und das den Menschen verständlich zu machen. Heute regiert überwiegend der Wellness-Gott. Auch deine Kirche ist davon nicht verschont. Jesus hat eine Dornenkrone getragen, er hat gelitten.
Wie weit sind wir heute bereit, für und unter seinem Wort zu leiden, damit wir nach seinem Wort leben, um die ewige Verzeihung zu erlangen?
Sehr betroffen grüßt Dich
Deborrah

Ich bin das Brot

Lieber Luther,
Ostern kommt näher und wir werden mehr und mehr erfasst, betroffen gemacht vom vorösterlichen Geschehen. Es zieht uns hinein in das Leiden Jesu, lässt uns mit ihm in den Abgrund schauen.
Johannes 6 ist Jesu Testament, der verzweifelte Versuch, den nicht verstehenden Jüngern, seinem Volk endlich begreiflich zu machen, um was es geht. Er weiß, er hat nicht mehr viel Zeit. So greift er zu einem Bild, das jeder kennt: Brot.
Ich bin das Brot, so seine Botschaft. Und damit es offensichtlich wird, sättigt er mit 5 Broten und 2 Fischen fünftausend Menschen: Es ist nicht das zu Brot gebackene Korn, das sättigt, sondern ich bin es, so seine Botschaft. Diese große Geste müsste eigentlich zum Beweis genügen, so hofft er.
Jesus erkennt: Ihr sucht mich nicht deshalb, weil ich euch zum Zeichen gespeist habe, sondern weil eure Mägen von dem Brot satt geworden sind. Wie können wir uns solche sättigende Speise verschaffen, fragen sie und denken an ihre hungrigen Mägen von morgen. Ganz einfach, antwortet Jesus, indem ihr an den glaubt, den Gott euch zum Zeichen geschickt hat, an mich. Ich bin das Brot, das der Welt Leben gibt.
Wenn das so ist, meinen sie, dann gib uns von dem Brot. Jesus bleibt hartnäckig: Ich bin das Brot des Lebens. Wer mir nachfolgt, den wird nicht hungern, wer an mich glaubt, den wird nie mehr dürsten.
Die Antwort ist also: Mensch, du musst mir nachfolgen, du musst an mich glauben, dann wird dein Hunger auf ewig gesättigt und dein Durst auf ewig gestillt. Leider glaubt ihr aber nicht, trotz aller Zeichen, die ich für euch bewirkt habe, ihr denkt, ein Sohn von Menschen kann so etwas nicht.
Beschwörend redet Jesus deshalb auf die Zweifler ein: Ich bin es nicht, ich bin nur der Vermittler. Es ist nicht mein Wille, der etwas bewirkt, es ist Gottes Wille. Gottes Wille bewirkt, dass ich nichts verliere von allem, was mir gegeben ist. Gottes Wille ist es, dass, wer mich sieht und an mich glaubt, das ewige Leben hat. Wen Gott mir gegeben hat und wer an mich glaubt, den werde ich auferwecken aus seinem Schlaf. Denn: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass „ihn ziehe der Vater“. Niemand vermag es aus eigener Kraft, auch ich nicht, Jesus, der Gottessohn. Indem ihr an mich glaubt, erfüllt ihr Gottes Willen.
Der Glaube an mich, den von Gott Gesandten, ist deshalb das lebendige Brot, das ihr essen sollt, das Wort, die Botschaft, die ich euch bringe. Nur durch mich werdet ihr das ewige Leben haben. „Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt“. Das finden die Menschen bis heute anstößig, seltsam, gruselig. Aber Jesus setzt noch eins drauf: „Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.“ Nur, wenn ihr mein Fleisch esst und mein Blut trinkt, bleibt ihr in mir und ich in euch.
Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken? Manch einer wendet sich – damals wie heute – mit Grausen ab und denkt, was ist das denn? Ich bin doch kein Kannibale. Jedoch: Mensch denkt rein physisch, wird aber von Jesus belehrt: „Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben“.
Wollt auch ihr weggehen, angesichts dieser Botschaft, fragt uns Jesus? „Es sind etliche unter euch, die glauben nicht“, deshalb „habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben.“
Jesu Fleisch und Blut, für uns gegeben, sein Abendmahl mit uns. Ob wir es mit ihm feiern wollen oder nicht, ob wir ihm nachfolgen oder nicht, ob wir glauben oder nicht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“. Immer wieder Abendmahl. Es führt kein Weg vorbei. Es ist das Vermächtnis Jesu. Jedes Mal ein Vergegenwärtigung Jesu, jedes Mal eine Erinnerung: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin deshalb gestorben. Nehmt es doch an.
Lieber Luther, ich glaube, darin sind wir uns im Prinzip einig. Der Herr gebe uns, dass wir dieses Erbe, wenn es uns gegeben wird, immer mit Demut, Dankbarkeit und in dem Bewusstsein der Gegenwart Christi, des Erlösers, in gerade diesem Augenblick leben.
Herzliche Grüße
Deborrah

Pharisäer und Schriftgelehrte

Lieber Luther,

Ich befürchte, mit meinem Brief heute setze ich mich bei Dir in die Nesseln. Aber Du kennst das ja von mir, was raus muss, muss raus.

Die Tageslosung von heute heißt:

Zu einem Volk, das meinen Namen nicht anrief, sagte ich: Hier bin ich, hier bin ich! (Jes 65,1)

Jesus geht zu den Heiden. Er ist bei denjenigen, bei denen es nicht offensichtlich ist, dass sie glauben, bei denen es man auf den ersten Blick nicht erwartet. Sein Verhältnis zum Kirchenestablishment, zu denen, von denen man per se annimmt, dass sie diejenigen sind, die Gottes Wort am ehesten verstehen und autorisiert sind, es auszulegen und zu verbreiten, war mehr als gespalten.

Im sechsfachen Weheruf gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Lk 11, 37-54) schleudert er ihnen entgegen:

Ihr Pharisäer haltet die Becher und Schüsseln auswendig reinlich, aber euer Inwendiges ist voll Raubes und Bosheit. Ihr Narren, meint ihr, dass es inwendig rein sei, wenn’s auswendig rein ist? Doch gebt Almosen von dem, was da ist, siehe, so ist’s euch alles rein.

Weh euch Pharisäern, dass ihr verzehnfacht die Minze und Raute und allerlei Kohl, und geht vorbei an dem Gericht und an der Liebe Gottes! Dies sollte man tun und jenes nicht lassen.
Weh euch Pharisäern, dass ihr gerne obenan sitzt in den Schulen und wollt gegrüßt sein auf dem Markt.
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr seid wie die verdeckten Totengräber, darüber die Leute laufen, und kennen sie nicht!
Weh euch Schriftgelehrten! denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr rührt sie nicht mit einem Finger an.
Weh euch! denn ihr baut der Propheten Gräber; eure Väter aber haben sie getötet. So bezeugt ihr und willigt in eurer Väter Werke; denn sie töteten sie, so baut ihr ihre Gräber.
Weh euch Schriftgelehrten! denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr kommt nicht hinein und wehret denen, die hinein wollen.

Als er das zu ihnen sagte, fingen die Schriftgelehrten und Pharisäer an, ihn hart zu bedrängen und ihm mit mancherlei Fragen zuzusetzen, und lauerten ihm auf und suchten, ob sie etwas aus seinem Munde erjagen könnten, das sie gegen ihn verwenden konnten.

Ja, das ist Jesus, der so spricht. Welch ein Abrechnung mit der herrschenden Klasse der Kirchenmänner. Das konnten sie nicht auf sich sitzen lassen. Das war das wahre Todesurteil für Jesus. Die anderen Beteiligten waren Randfiguren in dem Spiel, das gespielt wurde.

Zusammengefasst:
Wehe, die ihr Dienst tut in meinem Namen
ohne wahre Nächstenliebe,
von persönlicher Bequemlichkeit, Eitelkeit und Sucht nach Anerkennung getrieben und
die Unbequemen ausgrenzt und in der Versenkung verschwinden lasst,
die ihr Totengräber der wahren Kirche und des Glaubens seid.

Lieber Luther, ich glaube, das kommt Dir bekannt vor, auch wenn Du einer von Ihnen bist, die hier gemeint sind. Mir kommt das auch bekannt vor. Das macht die Testamente aus: Sie sind immer aktuell.

Jesus hat sich scharf von der theologischen Kaste abgegrenzt und Menschen außerhalb des theologisch-kirchlichen Establishments gefischt, „Heiden“. Er hat seine Kirche außerhalb jeglicher Organisation und jenseits von Gesetz und herrschender Ordnung gelebt. Er war ein unbequemer Querdenker, der die theologischen Rollenträger herausforderte und provozierte.

Ist er uns darin ein Vorbild mit vielerlei Konsequenzen, wenn man es ernst nimmt? Was heißt das für das, was man im kirchlichen Sprachgebrauch Sakramente nennt? Braucht es dazu organisierte Kirche, theologische Rollenträger? Was unterscheidet sie im Glauben vor Gott von mir? Vor Gott sind wir doch alle gleich nackt.

Das ist nicht einfach zu beantworten. Darüber, lieber Luther, und die Konsequenzen, muss ich – wahrscheinlich noch lange – nachdenken.

Herzliche Grüße
Deborrah

Fastenzeit der Seele

Lieber Luther,
die Fastenzeit hat begonnen. Das scheint die Phantasie der Menschen in Gang gesetzt zu haben. Fastenvorhaben konzentrieren sich auf Süßigkeiten, Alkohol, Fernsehen, Internet, Smartphone, Müll, Auto, usw.
Lauter Konsumartikel. Willentlicher Verzicht auf Verzichtbares. Ist das mit vorösterlichem Fasten gemeint?
Die Antwort finden wir in Matth.4, 1 ff.: Jesus wird vom Geist in die Wüste geführt. Er hat eine Bewährungsprobe zu bestehen. 40 Tage und 40 Nächte fastet er. Nun „hungert ihn“.
Daraufhin wird Jesus dreimal versucht:
Der erste Angriff gilt dem Ego: Wenn du Gottes Sohn bist, dann kannst du auch Steine zu Brot machen, auf dass es deinen Hunger stille. Jesus hat aber auf etwas ganz anderes Hunger: Auf das Wort Gottes, durch das der Mensch erst wirklich lebt.
Der zweite Angriff gilt dem Glauben in das Wort: Du kannst dich getrost in die Tiefe stürzen, denn es steht ja geschrieben, Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich auf Händen tragen werden (Psalm 91, 12). Jesus kontert: Es steht auch geschrieben, du sollt Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.
Der dritte Angriff gilt der Habgier und Käuflichkeit: Ich gebe dir allen Reichtum und weltliche Macht, wenn du vor mir in die Knie gehst und mich anbetest. Jesus bleibt standhaft: Es steht geschrieben, du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten und ihm dienen.
Dreimal ist Jesus der Versuchung ausgesetzt und dreimal beruft er sich auf Gottes Wort. Das ist es wonach Jesus hungert.
Wieso konnte er widerstehen? Jesus ist bereits von Johannes getauft, er hat aber seine Lehrtätigkeit noch nicht aufgenommen. Er ist sozusagen noch ein nicht herausragender Mensch. Dann schickt ihn der Geist, der in der Taufe auf ihn gekommen ist, in die Wüste, um ihm seine geistig seelische Rüstung anzulegen.
40 Tage dauert es, bis Jesus den verzichtbaren menschlichen Ballast über Bord geworfen hat, bis er seine Seele geklärt hat und nun für die göttliche Mission bereit ist. Jetzt hungert er danach, für Gottes Wort einzustehen und es zu verbreiten. Er ist zum erwachsenen, nicht mehr anfechtbaren Gottessohn geworden, zum Messias.
Das ist mit vorösterlichem Fasten gemeint. Die Reinigung unserer Seele von menschlich oberflächlichen Anfechtungen: vom Ego, von falschen Göttern, von Konsum, Habgier und Machtstreben. Das ist eine ganz andere Ebene als das oberflächliche Fasten, das wir betreiben. Das wiegt nur das Gewissen in den Schlaf, bringt unsere Seele aber nicht einen Schritt weiter. Mensch, da bist du wieder mal auf der ganz falschen Spur.
Bei Johannes wird am Anfang von Jesu Wirken mit der Erzählung von der Hochzeit von Kanaan bereits der Bogen zu seinem Ende geknüpft. Ähnlich ist das hier bei Matthäus, auch vor Beginn seines Wirkens: Dreimal wird Jesus versucht, drei Mal widersteht er, unverbrüchlich im Wort Gottes verankert. Dreimal ist Petrus gefragt worden, ob er Jesus kenne, dreimal hat er verneint. Dreimal hat er Jesus verleugnet, dreimal hat er nicht darauf gehört, was geschrieben steht.
Petrus konnte dem Versucher nicht widerstehen, wir können ihm nicht widerstehen, was immer wir uns als Fastenübung ausdenken. Wir werden immer scheitern. Das ist der Unterschied zwischen dem Menschensohn und den Söhnen und Töchtern der Menschen. Fasten wie Jesus bleibt bei uns immer nur ein annähernder Versuch.
Trotzdem, lieber Luther, lassen wir uns davon nicht entmutigen. Wir tun, was uns gegeben ist. Ich gehe mal davon aus, dass Du es auch mit dem innerlichen Fasten versuchst und nicht mit dem oberflächlichen. Der Verzicht auf das ein oder andere Fastenbier würde allerdings auch Deiner Linie nicht schaden.
Herzliche Grüße
Deborrah

Rosinenpicken

Lieber Luther
Beim heutigen Evangelium (Mark 8, 31-38) stutzt man.
Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg nach Cäsarea Philippi. Er ist neugierig, was man so über ihn redet und so fragt er seine Jünger: Sie sagen, du seist Johannes der Täufer oder Elia oder ein Prophet.
Und was denkt ihr? Petrus ist mutig und sagt: Du bist Christus!
Und was macht Jesus. Er „bedroht“ sie, dass sie niemand etwas sagen sollen.
Er erklärt ihnen, dass der Menschensohn viel werde leiden müssen, dass er verurteilt und getötet werden wird, aber nach drei Tagen auferstehen werde.
Wiederum Petrus wagt Widerworte. Jesus wendet sich um, sieht seine Jünger an und j“bedroht“ Petrus: „Gehe hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Und weiter: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangelium willen, der wird es behalten.
Da hat Jesus aber starke Geschütze gegen Petrus aufgefahren. Zuerst bedroht er seine Jünger, dann herrscht er Petrus an. Letzteren nennt er sogar „Satan“. Welch ein Affront gegen Petrus, seinen späteren Fels.
Es ist nicht das erste und einzige Mal, dass Jesus auffahrend ist. Seiner Mutter gegenüber, aber auch anderen, insbesondere den Pharisäern gegenüber. Als sie mit Argusaugen verfolgen, ob er etwa am Sabbat heile, sah er sie an mit „Zorn“ (Mark 3, 5). Ein anderes Beispiel ist die Demütigung der Frau am Jakobsbrunnen. Es ließen sich noch viele andere Beispiele aufzählen.
Nein, so wollen wir unseren Jesus gar nicht. Darüber schweigt man gerne hinweg. Das passt nicht in das Bild des Guten und Sanftmütigen.
Machen wir es da nicht wie Petrus: Rosinenpicken?
Wieso fährt Jesus Petrus so an? Weil er nur die Wunder und das Wunderbare sehen will, nicht aber das Kreuz, nicht aber das Leid, bis hin zur Bereitschaft, sein Leben zu geben, um Jesus und des Evangeliums willen. Dieser unbequemen Wahrheit will sich Petrus nicht stellen.
Jesus rührt an ein Tabuthema. Den Tod hat man schon damals lieber totgeschwiegen. Ja, Jesus ist der Christus. Was von ihm bei den Propheten geschrieben steht, müsste auch Petrus wissen. Er müsste wissen, wie das endet. Davor verschließt er aber die Augen. Er will lieber am Leben festhalten. Als der Hahn das dritte Mal gekräht hat, ist dies offensichtlich.
„Menschlich“ nennt Jesus das und er hat recht damit. Der Mensch hält gern das Leben fest. Die schwere Seite der Medaille, die das Christsein immer einschließt, ignoriert er gern. Gottes Liebe nimmt man gern, nicht aber Jesu Leiden und das Kreuz. Deshalb hat Petrus Jesus Zorn getroffen.
So ist es auch mit Jesus. Man will ihn nur als den Sanftmütigen, den Guten, den Geduldigen, den Liebenden. Der Zornige, der Aufbrausende, der Demütigende, der Rechthaberische, der gegenüber den Pharisäern Unerbittliche, den wollen wir nicht sehen. Das sind wir selbst. Von einer Lichtgestalt wie Jesus wollen wir das nicht sehen. Da wollen wir nur das, was wir denken, es sei die Zuckerseite.
Wieso eigentlich nicht? Er ist der Menschensohn, Mensch. Andersherum hat Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen und Gott ist im Alten Testament oft zornig, sehr sogar. Wieso wollen wir den Zorn als etwas nicht Göttliches ausschließen? Antwort: Passt nicht in unser Zuckerhasen-Bild.
Jesus ist durch das Leid des Kreuzes gegangen, durch den Spott, die Geißelung, das Verlassenwerden von seinen Jüngern. Er ist durch die Demütigung, den körperlichen Schmerz, den seelischen Abgrund gegangen. Er hat den Menschen in all seinen unmenschlichen Zügen selbst durchlitten. Er war Mensch. Er wurde menschlich geboren und ist menschlich gestorben. Deshalb durfte er auch zornig, aufbrausend und menschlich (nicht göttlich) ungerecht sein. Es war seine Bestimmung, Mensch in seiner ganzen Bandbreite zu sein. Das war der göttliche Wille. Ansonsten wäre er unglaubwürdig, seine Mission gescheitert.
Ist das enttäuschend? Keinesfalls, ganz im Gegenteil. Es bringt ihn uns näher, macht es uns leichter ihm nachzufolgen. Er zeigt, dass Mensch Mensch sein darf, mit all seinen Schwächen. Er hatte sie auch.
Indem wir Jesus sein lassen, was er war ? menschlicher Gottessohn ? bringen wir ihn uns näher als wenn wir ihn auf einen Sockel heben und ihn damit von uns wegheben. Nein, ich glaube, das hätte er nicht gewollt. Ich glaube, das ist nicht Gottes Wille. Er wollte uns eindrücklich einen vor Augen bringen, der unseresgleichen ist, einer der es uns ermöglicht, mit ihm zu ziehen, mit ihm Schritt zu halten, mit ihm zu gehen, ein Menschensohn eben, ein göttliches Ebenbild in Menschengestalt wie wir. Und er wollte uns sagen: So wie dieser Sohn durch das Kreuz gegangen ist, so müsst auch ihr durch das Kreuz gehen. Tut es ihm nach.
Jesus hält das seinen Jüngern unerbittlich unter die Nase, ob sie es hören wollen oder nicht. Seht, das ist es, was meine Nachfolge ausmacht, das Kreuz.
Und: Das gilt bis auf den heutigen Tag. Rosinenpicken ist eben nicht.
Ich gebe zu, lieber Luther, ich wage mich da wieder einmal weit vor. Ich hatte nicht die Zeit, deine Werke zu durchstöbern, um zu sehen, ob du dich um das Thema auch herumgedrückt hast. Wenn ja, gebe ich Dir hiermit eine Steilvorlage, die du gerne kontern kannst. Ich bin, wie immer, sehr disputierfreudig.
Herzliche Grüße
Deborrah

Liebeserklärung

Lieber Luther,
gestern habe ich eine Lanze für die Bibel gebrochen, heute will ich eine für Dich brechen. Auch das ist mir ein Anliegen, das aus dem Herzen kommt. Der ein oder andere glaubt doch tatsächlich, du verstehst nichts von der Bibel.
Zunächst: Du hast meine höchste Hochachtung: dein Pensum, dein Rückgrat, dein Einstehen für die Bibel und das Wort, egal um welchen persönlichen Preis, ist absolut bewundernswert. Du kennst Glauben und Bibel wie wenige in den eineinhalbtausend Jahren der Neuzeit. Du predigst oft täglich 3-4 mal. Du kennst die Bibel fast auswendig.
Du bist ein Genie, was die Übersetzung von schwierigen biblischen Zusammenhängen in eine Sprache anbelangt, die auch ungebildete Menschen verstehen. Du bringst die Dinge klar und deutlich auf den Punkt. Was zu schwierig ist, lässt du in deinen Alltags-Predigten klug weg, um die Menschen nicht zu überfordern.
In deinen Traktaten und Streitschriften gehst du keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Du bist in deiner stringenten und geradlinigen Argumentation nur sehr schwer zu widerlegen. Deine katholischen Häscher haben mit Dir eine schwere Nuss zu knacken. Argumentativ bist du ihnen klar überlegen. Du bist nicht nur ein begnadeter charismatischer Prediger, du bist auch ein angesehener, genial argumentierender Wissenschaftler.
Auch die Gebildeten kommen von sehr weit angereist, um eine Lutherpredigt zu hören. Du bist in deinem Ansatz und in der direkten Ansprache von Jedermann völlig innovativ. Du willst, dass Gottes Wort von jedem verstanden und gelebt wird. Klingt einfach, ist aber ein riesiger Anspruch. Um den zu erreichen, scheust Du keinen Einsatz.
Deine Furchtlosigkeit, mit der du gegen soviel Verfolgung kämpfst, lässt sich nur mit Deinem unerschütterlichen Glauben erklären. Dein Mut, radikal mit katholischen Traditionen zu brechen, wie etwa das Aufgeben des Zöllibats, ist zu bewundern. Wo haben wir heute einen, der Vergleichbares leistet, der so mutig Farbe bekennt.
Wenn wir heute auch nur einen Luther hätten, der die Massen so bewegt wie Du, wären die Kirchen nicht so leer.
Ich lese jedes Wochenende einer Deiner Predigten mit Gewinn.
Ja ich liebe meinen Luther.
In diesem Sinne,
herzliche Grüße
Deborrah

Bibel – Eine Streitschrift

Lieber Luther,

ich glaube, ich muss mal eine Lanze für die Bibel brechen. Es drängt in mir mit aller Macht. Ich weiß, bei Dir ist das Eulen nach Athen tragen, aber dennoch muss es heraus, ich habe in letzter Zeit so vieles gehört, gegen das mein Widerstand sich regt.

Kann man an den christlichen Gott glauben und die Inhalte der Bibel pauschal ablehnen? Manche meinen das. Kommt es auf das einzelne Wort an, wenn man Bibel liest und versteht? Oder auf die Summe der Wortzusammenhänge, wobei dem einzelnen Wort und seiner Übersetzung in der Masse eher eine untergeordnete Bedeutung zukommt? Kommt es nicht auf die immer gleiche Botschaft an, die in vielen Varianten und Bildern immer wieder aus anderen Blickwinkeln und Erfahrungszusammenhängen erzählt wird?

Der ein oder andere denkt, Bibel muss falsch sein, da mehrfach übersetzt, da können nur Verdrehungen dabei herauskommen. Oder, eine andere Variante, es wird unterstellt, der Prediger, auch du, verstehest die Bibel gar nicht. Was indirekt unterstellt, der Untersteller verstehe sie, er habe ja den Durchblick. Was für grandiose Missverständnisse!

Kommt es nicht vielmehr darauf an, mit welcher Brille ich die Bibel lese? Meiner eigenen oder einer fremden? Kommt es nicht darauf an, seine eigene Brille zu putzen, damit man selbst lesen kann und nicht darauf angewiesen ist, was andere einem vorlesen? Kann ich das nicht nur, wenn ich mich auseinandersetze und lerne zu lesen, ganz langsam zu Anfang, wie ein ABC Schütze? Mit Wegsehen lernt man das Lesen nicht. Auch auf anderen Misthaufen als dem eigenen zu kehren, hilft einem persönlich nicht wirklich weiter, sofern es nicht nur um schnöde Profilierung geht, um Ablenkungsmanöver von eigenen Misthaufen.

Ich glaube. Glaube an was? Glaube ohne Bibel? Glaube an einen abstrakten leeren Gott ohne Inhalt? Einen Gott, der aus mir heraus entsteht, dem ich Inhalt gebe? Ich als selbsternannter Gottgebärer, Gott als Verstandesgeburt? Mensch, wie überschätzt du dich.

Am Anfang war das Wort. Am Anfang ist das Wort. Alles wird durch das Wort. Wie wird das Wort transportiert? Wie wird der Satz? Aus was ergibt sich der Wort- und Satzsinn?

Bibel ist mehrfach übersetzt worden. Spricht das gegen die Bibel und deren Inhalt? Ist es entscheidend, ob der eine im Detail so oder so übersetzt? Im Großen ist das völlig unerheblich. Die Botschaft als Ganzes ist davon absolut unberührt.

Es geht um ein Begreifen des Inhalts und sonst um nichts. Wohl mag da ein Unterschied sein, ob etwas z.B. aktiv oder passiv übersetzt wird, aber das ist die Herausforderung an mich: Wo liegt der Sinn für mich? Darum geht es bei der Bibel. Den Inhalt, das Wort auf mich wirken lassen ohne am Wort zu kleben. Tage kann man so mit einem Satz verbringen und laufend entdeckt man neue Seiten an diesem Satz. Ich kann mich wochenlang mit einem Satz beschäftigen und mühelos viele Seiten über diesen Satz füllen. Wie wirkt das Wort auf mich? Wie verändert sich das jeden Tag? Was bewirkt diese Veränderung? Welchen Einfluss haben meine täglichen Lebensumstände? Was heißt das für den Sinn im Augenblick? Das Wort lebt mit mir und entwickelt sich in mir mit jedem Tag. Das Wort auf mich wirken, in mich einfließen, in mir arbeiten lassen. Nichts anderes zählt.

Ich glaube man muss sich von der falschen Vorstellung lösen, Bibel hätte einen allgemein gültigen festen Inhalt, der von allen Menschen über Tausende von Jahren gleich gesehen werden müsse. Gehe in ein Theaterstück und frage anschließend im Publikum, was für ein Stück gegeben wurde. Es gibt so viele Antworten wie man Personen fragt. Frage in 100 Jahren wieder und die Antworten werden ganz anders sein. Macht die Anzahl der unterschiedlichen Antworten das Theaterstück an sich richtig oder falsch? Objektive Richtigkeit gibt es noch nicht einmal in der Mathematik. Es ist keine Kategorie, die zu einer einzig richtigen Antwort führt, sie begrenzt nur im Kopf.

Bibel erzählt von Menschen und ihren Erfahrungen mit Gott, vom Leben mit dem Menschensohn. Sie beinhaltet Erfahrungswissen über Tausende von Jahren von Menschen, die sich Gott verschrieben haben, sich mit ihm auseinandergesetzt haben und in der Regel auch eine besondere Nähe zu ihm hatten. Ein unvergleichlicher Erfahrungsschatz. Erfahrung ist und bleibt Erfahrung, menschliches Erfahren, das aufgeschrieben ist, vor dem Hintergrund und im Wortverständnis des Schreibers.

Jedes Buch der Bibel lässt einen das jeweilige Erleben erfahren. Das tiefe Sehen Jesajas, das Leiden Jeremias, die wunderschöne Poesie Hiobs trotz aller Hiobsbotschaften. Jedes Buch eröffnet ein anderes Erfahrenstor.

Je nach meiner eigenen Verfassung lese ich mal lieber das eine Buch oder das andere. Das macht den Reichtum der Bibel. Viele Menschen vor mir hatten schon ähnliche Erfahrungen, ich kann mich bei ihnen zu Hause fühlen, verstanden. Die Fülle und der Reichtum ist so groß, dass ich immer etwas finde, was gerade für mich passt.

Den Denkanstoß, die Inspiration, die man daraus erhält, im für sich begreifenden Verstehen, führt ansatzlos in die direkte Auseinandersetzung mit Gott. So entsteht ein für mich ungemein fruchtbarer Dialog, in dem ich immer weiter hinein in das Verstehen geleitet werde.

Bibel ist etwas höchst Subjektives und zugleich zutiefst Persönliches, sie bewegt mich im Inneren und Äußeren. Was ein Text und sein Zusammenhang mit mir macht, kann keineswegs verallgemeinert werden. Ich lese ihn vor meinem Lebens- und Erfahrungskontext. Ich übersetze ihn für mich. Ich erkenne meine Wahrheiten in dem Text. Er schafft einen Draht zwischen mir und Gott.

Bibel lebt. Mit den Menschen, von denen sie erzählt, mit mir, jeden Tag. Indem ich lese, ersteht das göttliche Wort in meinem Verstehen. Das Wort lebt. Jedem steht es offen. Er muss nur die Initiative ergreifen. Amen.

Herzliche Grüße
Deborrah

Stecken und Stab

Lieber Luther,
mein Arbeitsversuch ist heute gescheitert, ich muss der Krankheit Zoll entbieten. Die Zeit habe ich genutzt, wieder einmal über Psalm 23 nachzudenken.
Es gibt dort eine Stelle, über die stolpere ich immer: „dein Stecken und Stab trösten mich“.
Was ist Stecken, was ist Stab und wieso tröstet der Stab und stützt nicht?
Das hat sich mir bisher nicht erschlossen. Zunächst einmal, was ist „Stecken“ und was ist „Stab“? Man muss weit zurückgehen, zu Mose und Aaron, um dem Stecken und dem Stab auf die Spur zu kommen.
Mose und Aaron hatten die Herkulesaufgabe, ein renitentes Volk aus Ägypten zu führen. Immer wieder wurden ihre Entscheidungen angezweifelt, fast hin bis zur Meuterei. Gott musste starke Zeichen schicken, um sein Volk auf Kurs zu halten und seinen Anführern zu Hilfe zu eilen.
Zwölf Stecken ließ er Mose zusammentragen, von jedem Fürsten seines Vaterhauses einen. Auf jeden Stecken schrieb er einen Namen. Den Stecken dessen, den Gott als Anführer auserwählt hat, wird ergrünen. So das Versprechen.
Grün wurde der Stecken Aarons. Vom „Aaronstab“ zu sprechen, stimmt deshalb nicht, es ist der Stecken Aarons, der grün wird. Der Stecken steht für Gottes Volk und der Name darauf, für den Auserwählten, der dieses Volk führen soll. Der Stecken steht für das Volk, das sich in Gottes Namen hinter dem Auserwählten versammelt, dessen Name auf dem Stecken steht.
Wie unter dem Stecken des Kreuzes, auf dem der Name „Jesus, König der Juden“ steht. Unter diesem Stecken und diesem Anführer versammeln wir uns heute noch.
Für was steht aber der Stab? Der Stab steht für die Zeichen, die Gott immer wieder wirkt, um sein ungläubiges Volk bei der Stange zu halten. „Und diesen Stab nimm in deine Hand, mit dem du die Zeichen tun sollst.“ (2.Mose 4,17). Mit diesem Stab schlug Mose den Fels. Er steht für die besondere Kraft, die Gott seinen auserwählten Knechten verleiht, damit sie Zeichen setzen können, die das Volk braucht und versteht.
Das Kreuz ist aus Stecken und Stab gebildet. Als Zeichen für Gottes Volk, sich dahinter zu versammeln und als Zeichen für die besondere Kraft, die von ihm ausgeht. Es ist eine Verortung von Gottes Volk, wo immer das Kreuz steht. Es ist eine Verheißung, dass dieser Stecken grünt, da auf ihm der Name Jesus Christus steht. Dieser Stecken und Stab gibt seinem Volk Trost und Halt, egal, in welchem mehr oder minder verwerflichen Zustand es sich gerade befindet.
Deshalb „dein Stecken und Stab trösten mich“. Egal wie unzulänglich und renitent ich auch bin, unter dieser Führung kann mir nichts passieren. Der gute Hirte wird mit seinem Hirtenstab auf mich aufpassen.
Lieber Luther, wie können wir da froh sein. Mit einem Seufzer der Erleichterung muss ich jetzt schließen. Ich muss morgen früh raus. Ich muss schon wieder fliegen, hoffentlich zerreißt es meinen erkälteten Kopf nicht.
Herzliche Grüße
Deborrah

Barmherzigkeit

Ein Wort, vor dessen Anspruch an einen selbst man erst einmal erschrickt:
Gehet hin und lernet, was das sei „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht an Opfern“ (Matth 9, 13)
Einen Blick für dich,
Einen Blick für mich.
Erbarmen mit dir,
Erbarmen mit mir.
Wärme für dich,
Wärme für mich.
Mitleid mit dir,
Mitleid mit mir.
Ein Herz für dich,
Ein Herz für mich.
Barmherzigkeit für dich,
Barmherzigkeit für mich.
Nein, Opfer willst du nicht.
Nur wenn ich barmherzig bin,
bist du barmherzig mit mir.

Hochzeit von Kanaan

Lieber Luther,

manche Dinge gehen mir zu langsam, manche zu schnell. Heute ist schon der letzte Sonntag nach Epiphanias. So weit bin ich noch lange nicht. Ich bin gerade mal bei der Hochzeit von Kana angelangt. Das ist ja eine wichtige Bibelstelle, das erste „Wunder“.

Beim Kirchgang heute ist mir hierzu ein Licht aufgegangen, Weiterlesen „Hochzeit von Kanaan“

Spiegel putzen

Lieber Luther,
„Die Furcht des Herrn ist rein …“, in Zusammenhang von Psalm 19,12.
Man könnte es sich nun einfach machen und sagen, das ist so gemeint, dass der Mensch Gott fürchten soll. Aber das stimmt so nicht, liest man es im Zusammenhang:
Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquicket die Seele (19, 8a)
Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht den Unverständigen weise (19, 8b)
Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz (19, 9a)
Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen (19, 9b)
Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich (19, 10a)
Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht (19, 10b).
Es ist also eindeutig, dass das Subjekt, um das es hier geht, Gott ist und nicht der Mensch. In seltener Einigkeit ist das in allen Bibelversionen, die ich habe, gleich. Man kann sich also nicht darum herumdrücken, sich eine Vorstellung davon zu machen, was damit gemeint ist.
Es gibt viele Bibelstellen, in denen dem Menschen als dem Empfänger der göttlichen Befehle, Gesetze, Gebote, Urteile dringend ans Herz gelegt wird, diese doch tunlichst zu befolgen, da ansonsten der göttliche Zorn zu fürchten ist. Die Bibel strotzt nur so von Beispielen, dass dies auch so ist. Das ist offensichtlich, darauf brauche ich nicht eingehen.
Was also ist die Furcht des Herrn? Was steht bei Maleachi 1,6?
Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht? spricht Jehova der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet und doch sprechet: Womit haben wir deinen Namen verachtet?
Wo ist meine Ehre, wenn ihr mich nicht ehrt, wo ist meine Furcht, wenn ihr mich nicht fürchtet. Das ist ein Vertrag auf Gegenseitigkeit. Jeder wird durch den anderen. Gott sieht mit Liebe und Zuneigung in den menschlichen Spiegel und erwartet, dass seine Liebe und Zuneigung zurückgespiegelt wird. Er muss aber sehen, dass der Spiegel beschlagen und verunreinigt ist, dass sich nicht sein reines Angesicht widerspiegelt. Ganz im Gegenteil.
Wie muss er erschrecken, wenn er in diesen Spiegel schaut. Wie sehr muss er um seine Schöpfung fürchten?
Fürchten, dass sein Volk sich noch weiter zerstreut.
Fürchten, dass seine Kinder den Vater in der reizüberfluteten Welt nicht mehr erkennen.
Fürchten, dass die Ohren des Menschen im Lärm der Zeit seine Stimme nicht mehr hören.
Reine Furcht um seine Schöpfung.
Lieber Luther, wie sehr kann ich das nachvollziehen, wie sehr kann ich Gottes Furcht verstehen. Auch in mir steigt angesichts der Welt Furcht auf.
Wir haben verkehrte Verhältnisse. Anstatt dass der Mensch Gott fürchtet, fürchtet Gott um den Menschen. Ich fürchte, lieber Luther, solange das nicht wieder eine gegenseitige Furcht wird, wird Gott sich fürchten müssen. Und ich fürchte, dass das noch sehr lange dauert.
Was uns tröstet: dass wenigstens zwei oder drei vorhanden sind, die ihn fürchten. Denn: Wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter uns (Matth 18, 20)
Wie dumm und undankbar wir uns auch anstellen, er ist eine treue und unermüdliche Putzfrau, und er wird nicht müde werden, die Spiegel so lange zu putzen, bis jeder rein geputzt ist. Vielleicht sollten wir auch zum Putztuch greifen, um ein bisschen mitzuhelfen. Mal schauen, wo ich eines finde.
In diesem Sinne wünsche ich uns, dass uns bald ein Frühjahrsputzfimmel befällt. Die Schürze habe ich schon mal umgebunden.
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Was mir gerade noch einfällt: Oder ist es vielleicht so, dass gar nicht jeder dieses göttliche Spiegelputzen aushält? Steht auch bei Maleachi.

Stärkbier

Lieber Luther,
morgen ist Epiphanias. Was soll das eigentlich sein, Epiphanias? Ich bin theologisch weder gebildet noch verbildet, also kann ich mich das durchaus fragen. Soweit ich mich erinnere, hat mir das noch niemand erklärt.
Erste Anlaufstelle ist heutzutage Wiki. Man sieht auf den ersten Blick, dass es nicht so einfach ist mit Epiphanias. Ein ziemliches Kuddelmuddel. Ich will nun nicht alles wiederholen, was da steht, das kannst Du selbst nachlesen.
„Heilig Drei König“, damit kann ich etwas anfangen, aber Epiphanias? Gähnende Leere, kein Echo in mir. Wenn ich auf die Straße gehen würde und Leute fragen, was denn bitte Epiphanias sei, es würde ihnen wahrscheinlich so gehen wie mir.
Johannes Tauler predigt zu Epiphanias, die Seele, erkenne wohl Gott, „sogar mit dem natürlichen Licht der Vernunft, aber wer er ist oder wo, das ist ihr gänzlich unbekannt und verborgen, und davon weiß sie gar nichts“.
Gott ist für einen Menschen zu hoch, er ist nicht von ihm zu verstehen. Damit gibt sich die Seele natürlich nicht zufrieden, sie strebt danach, hinter das Nichtverstehbare zu kommen. Was sie erreichen kann, ist ein Blick auf den Abglanz:
„In diesem aufmerksamen Bemühen geht ihr ein Stern auf, ein Schein und Glanz göttlicher Gnade, ein göttliches Licht; sieh, dieser, spricht das Licht, ist jetzt geboren, und weist die Seele auf den Ort der Geburt (Gottes) hin. Denn dahin, wo er ist, kann kein natürliches Licht hinführen.“
Oder, wie es bei Jesaja 60, 1 heißt: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir“.
Tu was Mensch, erwache aus deiner Lethargie, ohne deinen Willen geht es nicht, mache es wie die drei Könige, zieh diesem Licht in deiner Seele nach bis du bei dem Kind angekommen bist, das ist wenn Gott seine Gnade über dich ausschüttet.
Epiphanias hat etwas mit Aufbruch zu tun. Ein dreifaches Aufbrechen. Breche auf und mach dich auf dem Weg zum LIcht. Der Himmel bricht auf, Gottes Wort und Heiliger Geist bringen uns den inneren und äußeren Aufbruch. Jesus macht sich wieder einmal auf, um uns, angefangen in Kanaan, das Wort  aufzubrechen. Aufbrechende Dreifaltigkeit.
Epiphanias soll uns aus unserer Weihnachtsseligkeit wecken und uns erinnern, dass wir nun am Zug sind, uns aufbrechen lassen: „Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen“, alle Voraussetzungen sind geschaffen, es liegt an uns. Aus mit Feiern, ein langer Weg liegt vor uns, Arbeit ist angesagt, der Alltag hat uns wieder. Auf zum nächsten Weihnachten. 
Lieber Luther, du schaust dem Volk gern aufs Maul. Tief in der Seele des Menschen verborgen sind noch Wahrheiten, für die keiner mehr so richtig den Grund kennt, aber sie sind noch vorhanden.
„Die Stärk antrinken“, ein Brauch im Oberfränkischen am Vorabend zum 06. Januar. Um sich gegen die Widrigkeiten des kommenden Jahres zu wappnen, für die Arbeit und den Alltag nach all dem Feiern. Ein schöner Brauch, ein schönes Bild.
Ich will gleich in den Keller gehen und schauen, ob ich ein Starkbier finde. Bei Dir ist das sicher kein Problem, Deine Katharina hat Dir sicher eines gebraut. Nehm einen guten Schluck!
Herzliche Grüße
Deborrah

Amnesie

Lieber Luther,
ich muss wieder zur Feder greifen, da ich in der Bibel etwas nicht verstehe und da bist Du eine gute Ansprechstation für mich.
Ich habe gerade das Evangelium für morgen gelesen und festgestellt, dass es der Text ist, über den ich immer stolpere. Wieso wundert sich Maria über das, was Simeon und die Prophetin Hanna sagen, die in Jesus den Erlöser erkannt haben (Lk 2, 25 ff?
Wieso ich mich wundere?
Maria ist der Engel Gabriel erschienen und hat ihr die Geburt Jesu aus dem heiligen Geist angekündigt. Auch den Namen des Kindes hat er gesetzt: Jesus.
Er wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden; Gott der Herr wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; er wird ein ewiger König sein über das Haus Jakob und sein Königreichs wird kein Ende haben. Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria antwortet: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du gesagt hast“.
Auch Johannes Geburt ist ihr angekündigt worden und so eilt sie zu Elisabeth, mit der auch Unerklärliches vor sich geht.
Was sagt Elisabeth zu Maria: „Woher kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt“? Gesegnet bist du und gesegnet ist dein Kind. Selig bist du, die das Wort des Herrn geglaubt hat.
Und aus Marias Seele quillt der Lobpreis des Herrn, der mit den wunderbaren Worten anfängt: „Meine Seele erhebe den Herrn und mein Geist freue sich Gottes, meines Heilands“.
Den Hirten erscheinen auch Engel: euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Sie eilen in die Stadt Davids, nach Bethlehem und finden dort tatsächlich das Jesuskind.
Auch sie glauben den Worten der Engel, sie breiten „das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war“.
„Maria aber behielt all diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“.
So weit ist alles klar. Alle Beteiligten wissen, wer hier geboren wurde: Zacharias, Elisabeth, Maria, die Hirten, alle sind voller Freude. Joseph findet hier bei Lukas keine Erwähnung, aber ich bin sicher, dass auch er es weiß.
Nur acht Tage später, nach dem Wochenbett, scheint alles vergessen, die Amnesie einzutreten, und zwar ausgerechnet bei Maria und Joseph. Mit Kind und Blut scheint Maria auch das Gedächtnis entflossen.
Der gottesfürchtige Simeon und die Prophetin Hanna erkennen Jesus als den Christus, als den Erlöser. Simeon sagt: „Meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast im Angesicht aller Völker: ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel“. Auch Jesu Tod und Marias Schmerz wird von Simeon bereits gesehen, inklusive Begründung: „dass vieler Herzen Gedanken offenbar werden“, das heißt: dass viele Menschen in ihrem Herzen von ihm erfasst werden.
Und dann steht es: „Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward“.
Wieso das denn? Acht Tage nach seiner Geburt. Die Hirten waren vermutlich noch in der Stadt. 9 Monate, nachdem der Engel erschienen war und ihr die Geburt angekündigt hatte, 3 Monate nachdem sie bei Elisabeth war und sie ihrer Seele dieses wunderbare Magnifikat abgerungen hat. Eine Mutter vergisst das nicht, das ist unmöglich, das ist eingebrannt.
Das Jesuskind wuchs „und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm“.
Dann gehen sie zu Ostern nach Jerusalem in den Tempel. Jesus ist 12 Jahre alt. In den Menschenmassen verlieren sie ihn aus den Augen. Da sie wissen, dass Jesus ein kluges Kind ist, denken sie, dass er sich mit seinen Freunden, die ebenso nach Jerusalem gepilgert waren, bereits auf den Rückweg gemacht hat. Als sie auf die Gruppe treffen, finden sie ihn nicht.
Also tun sie, was Eltern in so einem Fall tun: sie kehren um und suchen das Kind.
Unfasslich, dass sie nicht zuerst im Tempel suchen. Jesus Antwort auf ihre Vorwürfe ist absolut nachvollziehbar: „Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist“. Recht hat er, möchte ich ausrufen. Jesus reagiert mit dem gleichen Unverständnis wie ich.
„Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete“.
Das Kind kommt nach und nach selbst zu Wort. Es wird stark im Geist, „voller Weisheit“, das fällt einer Mutter schon von kleinsten Kindesbeinen an auf. Maria, wo hast du deine Gedanken? Weißt du nicht mehr, was dein Herz bewegt hat?
Was ist bloß mit diesen heiligen Eltern passiert? Bis zur Geburt verstehen sie alles, danach – jedenfalls nach Lukas – nicht mehr viel.
Wie kann das sein, lieber Luther? Ich ringe damit seit Wochen, weil ich es nicht verstehen kann. Andererseits weiß ich, dass in der Bibel kein Papperlapapp steht und ich der nicht verstehende Teil bin. Also, wie muss ich das verstehen?
Maria scheint irgendwie dreigeteilt, fast würde ich sagen dreifaltig:
Da ist die junge Frau, die Gottes Wort annimmt, mit der ganzen Unschuld ihrer Seele: Herr, ich tue was ich verstanden habe, was du von mir willst, ich gehe dorthin, wohin du mich leitest. Voller Vertrauen, noch nicht gezeichnet von den Vertrauensbrüchen, die das Leben mit sich bringt.
Das ändert sich mit der Geburt ihres ersten Sohnes. Der Alltag holt sie ein. Die Mutterpflichten, Ehefrauenpflichten, Haushaltspflichten, sozialen Verpflichtungen, die sie aufreiben und ihre Seele bedecken, so dass sie bei der täglichen Pflichtenfülle und bei der Sorge um die ganze Familie ihre innere Wahrheit verliert. Sie hat keine Zeit mehr, sich um ihre Seele, um ihren inneren Kern, zu kümmern.
Vielleicht war das vom Engel gemeint: „der Geist des Herrn wird dich überschatten“. Im Überlebenskampf des Alltags fehlt Zeit und Kraft, um sich dem inneren Licht zuzuwenden.
Dann ist da die vom Leben gezeichnete ältere Maria, die am Kreuz mit ihrem Kind stirbt. Das ist für eine Mutter (und einen Vater) die Hölle. Da sie physisch weiterleben muss, findet sie in ihrer Seele Gott wieder. In der tiefsten Nacht hebt sich der Schleier und sie sieht wieder das Licht in sich. Sie wird zur Jüngerin. Das ist eigentlich wunderschön.
So gibt es für mich einen tiefen Sinn. Einzuordnen und zu verstehen für alle Eltern in diesen Lebensphasen. Vermutlich ist das auch für Dich nachzuvollziehen, Deine Kinderzahl ist ja stattlich, wie sich ein Verlust anfühlt, kennst du auch, Dein Haushalt ist groß und ja, einen Beruf und eine Berufung hast Du auch noch. Pass auf, dass Du Dich nicht übernimmst!
Herzliche Grüße
Deborrah

Abendmahl

Lieber Luther,
du weißt, dass mich das Abendmahl schon des öfteren bewegt hat. Schon wieder hat es mich eingeholt.
Gleich in meinem ersten Brief an Dich musste ich meinen Zorn über die fehlenden Abendmahlsfeiern in meiner Kirchengemeinde loswerden. Ich erinnere an die beeindruckende Abenmahlschnitzerei in der Kirche von Steinfeld, vom Geburtstags-Abendmahl habe ich berichtet, auch darüber, dass es einen wie ein Sturmwind erfassen kann.
Zum Kern bin ich aber bisher nicht wirklich durchgedrungen, es ist mir gerade erst klar geworden: Es ist, wie bereits unten geschrieben, immer das Wort, in dem Fall die Einsetzungsworte Jesu Christi:
Nehmet hin und esset; das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“
„dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden“.
Das ist sein Vermächtnis. Mit diesen durch Jesus für mich gesprochen Einsetzungsworten werde ich in ihn eingesetzt, wird Gott im Brot und Wein, so dass ich ihn buchstäblich essen und trinken kann, Buchstabe für Buchstabe sozusagen. Möglich ist das nur durch den tatsächlich hingegebenen Leib Jesu Christi und sein für mich vergossenes Blut.
Der Blutzoll für das Böse und die Abgründe in mir ist durch Jesu Leiden für mich bezahlt und Gottes Gegenwart deshalb für mich unmittelbar möglich. „Gott direkt“ könnte man sagen, Christus bringt ihn zu mir, er trägt ihn mir quasi nach, ich muss ihn nur nehmen. Das ist von Gott so gewollt.
Das ist es was Du meinst mit „Aus Brot und Wein wird durch Gottes Wort der wahre Leib und das wahre Blut Jesu Christi“ (Große Katechismus).
Wie einfach macht er es uns damit eigentlich. Wieso tun wir uns so schwer damit?
Meine Gedanken wandern zurück zum Adventsversprechen Maleachis:  „Wer wird bestehen, wenn er erscheinen wird?“
War es deshalb, weshalb ich so gewankt habe, wie eine Zeder des Libanon, beim letzten Abendmahl?
Mit weihnachtlichen Grüßen herzlichst
Deborrah
PS: Wieso beschäftigt mich 2 Tage vor Weihnachten das Abendmahl so sehr? Weil wir eine besondere Zeit haben? Weil Jesus für uns stirbt und Gott geboren wird in jedem Abendmahl? Ostern und Weihnachten außerhalb Ostern und Weihnachten? Ostern und Weihnachten – im Abendmahl?