„Insel ohne Wasser, Vogel ohne Flügel“ heißt das Buch von Agnes Fazekas, das ihre Begegnungen mit Menschen aus dem Westjordanland beschreibt. Von MENSCH zu MENSCH.
Was ich gelesen habe, hat mich aufgewühlt, betroffen gemacht. Es eröffnet sich der triste und beklemmende Blick in eine vergessene menschengemachte Hölle, in der die Menschen trotz alledem versuchen auszuharren und das Beste daraus zu machen.
Agnes Fazekas beschreibt den schweren Lebensalltag von Palästinensern, klagt an, ohne anzuklagen, selbst zerrissen zwischen ihrem israelischen Freund und Freunden und ihrer Empathie für die geschundenen palästinensischen Menschen, denen sie von MENSCH zu MENSCH begegnet. Mit ihrem Buch will sie aufrütteln, Bewusstsein schaffen und sie rüttelt ganz gewaltig auf. Sie zeigt das Unrecht und die Unmenschlichkeiten auf. Sie wertet nicht, sie berichtet. Das Bewerten dieses Glaubenskrieges, der Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land mit der Begründung, von Gott sei das so legitimiert, überlässt sie dem Leser.
Was zu lesen ist, lässt einen zutiefst erschrecken: Da wird schikaniert, die Menschen vom Wasser abgeschnitten, von der Elektrizität, es wird ihnen die Bewegungsfreiheit genommen, sie werden hinter Mauern und Stacheldrahtzäune gezwungen, durch Schleusen mitten im Land. Wiederaufbauversuche werden mit Bulldozern niedergerissen. Großfamilien leben in Höhlen, in Containern, in Zelten, auch im bitterkalten Winter, ohne fließend Wasser, ohne Elektrizität. Es gibt auch vereinzelt reiche Palästinenser, aber die Mehrheit ist arm, versucht zu überleben, obwohl in ihrem Land fast kein Leben mehr ist.
Agnes Fazekas besucht und sucht die MENSCHEN, unabhängig von der Politik, erzählt Einzelschicksale. Aber auch sie kann sich dem Terror der Besatzungsmacht, der damit verbundenen Angst nicht entziehen. Die schrittweise und schleichende Okkupation auch des international den Palästinensern zugesprochenen Restfleckens ihres Landes ist eine auf jeder Seite spürbare Bedrohung des engen verbliebenen palästinensischen Lebensraumes. Man spürt förmlich, wie ihnen der Lebensatem abgeschnürt wird und man fragt sich unwillkürlich: Kann das auf Dauer gut gehen? Lässt sich jemand ohne Gegenwehr strangulieren?
Agnes Fazekas selbst ist Deutsche und lebt mit ihrem israelischen Freund in Tel Aviv. Sie versteht auch die israelischen Ängste und bringt das zum Ausdruck. Aber das ist nicht ihr Thema in diesem Buch. Sie will auf die Nöte der palästinensischen MENSCHEN aufmerksam machen, die in ihrem Land ausharren, sich trotz der Widrigkeiten nicht auch noch auf den Weg machen, um in Europa oder sonst wo auf der Erde sich einen neuen Platz zu erkämpfen. Sie wollen bleiben, aber können sie dort, wo sie sind, auf Dauer überleben, unter diesen Lebensumständen? Die Frage ist offen.
Und wir, die sogenannte Weltgemeinschaft? Wir schauen wie üblich zu, solange wir nicht direkt betroffen sind. Unserer Aufmerksamkeit wendet sich nur kurzzeitig dorthin, wenn irgendwo gebombt wird oder eine 3.Intifada ausbricht. So lange noch Zeit ist, das Schlimmste zu verhindern, hat das für unsere Regierungen keine Priorität. Sie treten erst in Aktion, wenn alles kurz und klein geschlagen ist und leisten dann „humanitäre Hilfe“ mit großem Einsatz. Wieso nicht, solange noch Zeit ist? Es wird den Menschen nicht ermöglicht, sich in ihrer Heimat eine Existenz aufzubauen oder bestehende Existenzen auf Dauer zu erhalten. Wenn sich die Massen dann schlussendlich doch in Bewegung setzen, um sich einen Flecken Erde zu suchen, auf dem es sich leben lässt, tun unsere Politiker dann ganz überrascht, erblindet und abgestumpft vom jahrzehntelangen Wegsehen und Nichtstun. An einem Brandherd kann man sich verbrennen, er kann sich aber auch zu einem Flächenbrand ausweiten. Die allerjüngste Geschichte hat das gezeigt.
Am vergangenen Mittwoch ging durch die Presse, dass ein junger israelischer Soldat, der einen wehrlos am Boden liegenden Palästinenser erschossen hat, durch ein Gericht verurteilt wurde. Selbst der Ministerpräsident Israels fordert nun seine Begnadigung, genauso wie 60% der israelischen Bevölkerung. Terroristen darf man erschießen, wobei ich nicht sicher bin, ob nicht alle Palästinenser als Terroristen betrachtet werden, die eine Bedrohung für Israel darstellen. Ein Rechtsanwalt hat es auf den Punkt gebracht: Es ist unerheblich, ob der Soldat die Regeln gebrochen hat oder nicht, erheblich ist, was in dieser Gesellschaft als moralisch gilt.
Recht wird durch rechte Gesinnung ersetzt, als „Moral“ verkauft, was an sich höchst unmoralisch ist. Palästinenser leben gefährlich, sie verlieren leicht ihr Recht auf Leben und Unversehrtheit aus israelischer Sicht. Alles mit der Tora in der Hand, mit dem Unaussprechbaren in der Standarte.
Unwillkürlich denke ich an die martialischen Texte im Alten Testament, die anscheinend wörtlich genommen werden, Recht hin und Recht her. Man blickt auf seine Bibel und fragt: Gott, hast du das so gewollt? Hast du die Ermächtigung erteilt, das palästinensische Volk von ihrem angestammten Land zu vertreiben, von ihren Lebensadern abzuschneiden, einzumauern, zu erniedrigen, langsam auszudürsten und auszuhungern?
Gott schweigt und auch nicht. Ich muss an meine Jahreslosung denken: „Gott in der Höhe ist gewaltiger als die Stimmen großer Wasser, als die gewaltigen Wogen des Meeres“. Ich befürchte, ich muss noch oft in diesem Jahr auf sie zurückgreifen, um mich an ihr festzuhalten.
Was kann ich als machtlose Einzelperson tun? Nicht viel, ich sehe schon die Schulterzucker. Agnes Fazekas hat in ihrem Buch um jeden MENSCHEN, der etwas für MENSCHEN tun will, geworben. Sie hat von der Möglichkeit des „Couch-Surfens“, eine billige aber gängige Übernachtungsmethode, erzählt, vom Palästinamarathon, von den Kletterparks, die entstehen, von den Wanderwegen, die im Aufbau sind, von der großen Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen, die auf uns, auf das Geld, das wir ins Land bringen, angewiesen sind, wollen sie dort überleben. Sie sind darauf angewiesen, dass wir sie nicht vergessen. Man glaubt es kaum, man kann Urlaub machen in diesem Land, anstatt das Geld nach Malle zu tragen. Und sie hat von der einzigen Weberei erzählt, die noch Kufiyas, die traditionellen Kopftücher, herstellt. Alle anderen mussten aufgeben, waren den Billigimporten nicht mehr gewachsen. Die Weberei produziert am Rande des Existenzminimums mit nur noch 4 Maschinen, 2 Stunden am Tag. Man kann den Menschen dort am besten helfen, indem man ihnen hilft sich selbst zu helfen, ihre Wirtschaftskraft stärkt.
Ich kam auf die Idee, nach dieser Weberei, von der Agnes Fazekas erzählt hat, im Internet zu suchen und fand sie ( MADEinPALESTINE.de und Kufiya.org ). Ich habe 2 Tücher bestellt, obwohl ich genug Tücher habe. Es gibt sie mittlerweile in verschiedenen unverdächtigen Touristenversionen, die helfen, die Absatzzahlen etwas anzukurbeln. Die Bestellung wurde prompt bearbeitet und verschickt. Statt eines bestellten schwarz-weißen Tuches kam ein grün-weißes, die Olivenbäume von Kaubar symbolisierend. Ein schöner Gedanke, ein Gedanke der Hoffnung. Die flexible Tüte war mit einem Aufkleber verschlossen“ With love from Palestine“ und es lag ein Beipackzettel bei:
„Thank you for choosing Hirbawi, the original kufiya made in Palestine. With your purchase, you are contributing to keep the last kufiya factory in Palestine running its production and preserving a Palestinian tradition and symbol.
We kindly ask you to further recommend the original and traditional kufiya by purchasing your Hirbawi from our official partner online shops.”
Was ich hiermit tue. Und es ist hinzugesetzt:
“You are most welcome to visit us at our factory in Hebron”.
Agnes Fazekas: Insel ohne Wasser, Vogel ohne Flügel. Im Zickzack durch das Westjordanland. Dumont, 2015.

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