Lieber Luther,
mitten in meine Erstarrung und Lesehemmung hinein ist mir ein Büchlein zugeflogen, über „Grenz-Gängerinnen“. Es handelt von vier Frauen, den vier Frauen aus dem Stammbaum Jesu. Das vermochte mich nun doch zu locken.
Wieso sind bei Matthäus (nicht bei Lukas) diese Frauen erwähnt? Wieso überhaupt Frauen, die Handelsware in damaliger Zeit? Es ist Tamar, Rahab, Ruth und Bathseba. Was soll uns das sagen? Welcher Gewinn sind sie mir heute noch?
Alle vier Frauen sind tief ins Leben verstrickt, so wie Leben spielt, auch heute noch: Verrat, Vergehen, Täuschung, Enttäuschung, Lüge, Unrecht, Verlassenwerden, Verlassenheit, Ehebruch, bis hin zu Mord. Beteiligt daran, Ursache, Verursacher, Versucher, Auslöser sind Männer. Es sind Gottes Männer, die tief menschlich sind und – wie alle Menschen – gute und böse Züge haben. Alle stehen trotz ihrer teilweise bösen Taten in der Ahnenreihe Jesu.
David ist der Hervorstechendste unter ihnen. Seine Frau, ist eigentlich „die des Urija“. Er lässt Urija in einem Auftragsmord beseitigen, um zu verbergen, dass Batscheba schwanger von ihm ist. David, der Psalmschreiber, der Schöngeist. Er erliegt den weiblichen Verlockungen, dem Allzumenschlichen. Er kann dem Versucher nicht widerstehen und übertritt die Gesetze, die er gut kennt. Das erste Kind, während des Ehebruchs gezeugt, stirbt. Batscheba weiß es von vornherein, David erdrückt fast der Schmerz um das Kind. Da kommt Nathan, der weise Prophet und öffnet David die Augen für sein Unrecht. Jetzt erst erkennt es David. Er betet, bereut ehrlich und Gott verzeiht. Erst jetzt findet er zurück ins Leben. (2. Samuel 11-12)
Weiter zurück, Rut. Sie heiratet einen Einwanderer. Als alle Männer der Familie sterben, ist das Unglück groß bei den drei verwitweten Frauen. Als Witwe hatte man nichts mehr vom Leben zu erwarten. Die Schwiegermutter, Noemi, die Liebliche, gibt nicht auf, sondern handelt. Sie entschließt sich, in ihre Heimat zurückzukehren, in der Hoffnung, ein Überleben bei der Verwandtschaft zu finden. Rut geht mir ihr, aus ihrer Heimat in die Fremde, wie zuvor ihre Schwiegermutter. Sie sagt „dein Gott ist mein Gott“. Eine unendlich lange Reise in damaliger Zeit, noch dazu zwei Frauen ohne männlichen Schutz. Sie haben Mut, die zwei Frauen, unendlich viel Gottvertrauen und sie haben Glück. Bòas, ein angesehener Verwandter, stellt sie unter seinen Schutz, verliebt sich in Rut und nimmt sie schließlich zur Frau. Eine wunderschöne, poetische Geschichte mit Happy End nach viel Leid, Entbehrung, Strapazen, Angst. Die beiden Frauen vertrauen in Demut auf Gott und Gott nimmt sie bei der Hand und führt sie einen weiten Weg nach Hause. (Ruth 1-4)
Die Geschichte der Rachab, einer Tempeldirne, beginnt mit Verrat. Sie verrät ihr Volk, die Bewohner von Jericho, und trägt damit zum Fall Jerichos bei. Die Israeliten stehen vor den Toren, Kundschafter haben sich eingeschlichen und werden gesucht. Rachab versteckt sie, belügt die eigenen Leute und lässt sie nachts über die Stadtmauer entkommen. Wieso tut sie das? „Ich weiß, dass der Ewige euch dies Land gegeben hat.“ Sie beruft sich auf Gott. Ihm allein fühlt sie sich verantwortlich und handelt entsprechend. Auch sie ist äußerst mutig. Zum Dank wird sie beim Fall Jerichos verschont. Sie wird die Frau von Jehoschùa und damit eine Ahnin von Jesus. (Josua 2)
Schließlich Tamar, die Frau, die den Söhnen des Juda den Tod brachte und deshalb von Juda aus der Familie verstoßen wurde, zurückgeschickt zu ihrer Familie. Eine Katastrophe für Tamar in damaliger Zeit. Recht- und schutzlos war sie dadurch geworden. Doch Tamar weiß sich zu wehren. Sie verdingt sich als Zonàh, als Hure, und als Juda des Weges kommt, setzt sie sich in Positur. Juda kommt nicht an ihr vorbei. Sie verlangt ein Pfand von ihm: Siegelring, Richterschnur und Hirtenstab, die ganzen Insignien seiner Macht. Und, kaum zu glauben: Er gibt sie ihr, liefert sich aus. Tamar, die sich nicht zu erkennen gab, wird schwanger. Ein weiteres „geht gar nicht“ in ihrem Leben. Juda hört, dass seine Schwiegertochter schwanger ist und will sie zur Rechenschaft ziehen. Tamar zieht ihren Trumpf aus der Tasche: Siegelring, Richterschnur und Hirtenstab. Juda sieht sein hässliches Gesicht im Spiegel. Er lenkt ein: „Lasst sie. Wahrlich , sie ist eine Gerechte! Sie ist im Recht gegen mich.“ Sie ist schön, so nimmt er sie zur Frau und hilft ihr aus der Not, in die er sich gleich doppelt gebracht hat (1. Mose 38)
Alle vier Geschichten sind Geschichten der Bewegung, der Umkehr von Unrecht in Recht: Juda und David sehen ihr Unrecht an den Frauen ein, sie bereuen und kehren um zu den Frauen und damit zu Gott. Noemi, Rut und Rachab brechen auf im Vertrauen auf Gott. Für alle ist ein Weg zu Ende und fängt ein neuer an. Der Weg ist steinig, Unglück, Not, Angst und Bedrängnis säumen die Wegränder. Es kommen aber alle an. Keine der Frauen gibt auf. Gott ist ihnen Stecken und Stab, der einzige, auf den sie sich wirklich verlassen können.
Das Verwunderliche ist, dass aus so viel Not, Elend, Vergehen und Sünde Menschen hervorgegangen sind, die zu Jesus hinführen. Zu demjenigen, der allein ohne Sünde ist. Das ist eine starke Botschaft, die uns heute auch noch betrifft, eine Botschaft, die klärt.
Genau deshalb stehen die Frauen bei Matthäus in Jesu Stammbaum. Jesus ist körperlich aus einer Frau hervorgegangen. Frauen haben ihren Platz bei Gott und er sorgt für sie, in allem Unglück. Die Zahl vier meint in der biblischen Zahlensymbolik die Vollständigkeit der Schöpfung. Nur mit Männern und Frauen ist die Schöpfung vollkommen, wenn auch nicht vollkommen nach Gottes Recht. Vollkommene unvollkommene Schöpfung, eine ewige Dialektik. Genau das zeigen uns die vier Geschichten.
Wie unvollkommen wir auch sind, sofern wir ehrlich unsere Vergehen vor Gott bekennen, solange wir umkehren, solange wir uns wieder dem anderen zukehren können, bei allem Unrecht, das zwischen Mann und Frau geschehen kann, wie die Geschichten zeigen, solange verzeiht Gott und nimmt uns bei der Hand. Die Geschichten dieser Frauen zeigen, menschliches Leben hat oft mit Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen zu tun, ist oft grenzwertig. Opfer sind wir alle, unserer selbst und des anderen. Und das Wunderbare daran ist: Es kommt trotz allem immer neues Leben hervor. Das Leben siegt. Gerade deshalb stehen hierfür auch diese Frauen in Jesu Stammbaum.
Lieber Luther, das tröstet ungemein. Wenn ich all diese Prüfungen sehe, die diese Frauen – und in ihrem Gefolge auch die mit ihnen verbundenen Männer – über sich ergehen lassen mussten, wenn ich sehe, wie sie immer wieder die Kraft gefunden haben, aufzustehen und weiterzugehen, dann färbt etwas von ihrer Kraft auch auf mich ab. Über Jahre sind sie weitergegangen, auch wenn es geschmerzt hat, auch wenn sie zwischendurch gefallen sind, im festen Vertrauen auf Gott. Gott ist mit den Sündern. Gott gibt den Sündern Kraft, Einsicht und Wegweisung. Manchmal ist dazu auch – oder gerade – eine Grenzüberschreitung notwendig. Aufmachen und umkehren müssen immer alle Beteiligten, auch das zeigen diese Geschichten.
Passt irgendwie zur Losung heute. Muss in der Luft liegen.
In diesem Sinne,
Herzliche Grüße
Deborrah
PS: Das Buch, das mir den Impuls gab: Elsbeth Weymann: Grenz-Gängerinnen. Die Frauen im Stammbaum Jesu. Urachhaus. 2007
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