Einer, der das Oberkleid ablegt am Tage der Kälte, Essig auf Natron: so, wer einem traurigen Herzen Lieder singt. SPRUECHE 25:20 ELB
Ob jemand über etwas Trauer empfindet oder nicht, ist höchst persönlich. Auch wie jemand mit Trauer umgeht, ist personenabhängig. Der eine sucht Menschen, der andere flüchtet sie, der eine flüchtet sich in Arbeit, der andere bekommt Depressionen. Was Menschen in Trauer sicher nicht brauchen, ist eine enthemmte (sozialmediale) Meute, die die Trauernden zerfetzen. Diese antisozialen Medien widern mich zunehmend an, oder vielmehr die Menschen, die keinen Maßstab und keinen Sinn mehr dafür zu haben scheinen, dass menschliches Miteinander auf Dauer ohne Menschlichkeit und Respekt voreinander nicht gelingen kann. Traurig. Traurig und besorgniserregend. Eine Gesellschaft ohne verbindliche (Verhaltens-)Regeln kann nicht existieren. Gesellschaften, die sich selbst auflösen. Historisch belegt. Jetzt scheinen unsere Gesellschaften an der Reihe zu sein.
Ich schrie um Hilfe bis zum Morgen, aber wie ein Löwe, so zerbrach er alle meine Gebeine. Vom Tag bis zur Nacht wirst du ein Ende mit mir machen!
Jesaja 38,13
Die Zeiten,
in denen wir am Boden liegen,
sind die besten Zeiten,
Gott zu vertrauen.
Sie werden weinend kommen, aber ich will sie trösten und leiten. Ich will sie zu Wasserbächen führen auf ebenem Wege, dass sie nicht zu Fall kommen; denn ich bin Israels Vater.
Jeremia 31,9
Eine ganz andere Übersetzung in der Elberfelder:
Mit Weinen kommen sie, und unter Flehen leite ich sie; ich führe sie zu Wasserbächen auf einem ebenen Wege, auf dem sie nicht straucheln werden. Denn ich bin Israel zum Vater geworden, und Ephraim ist mein Erstgeborener. –
Wohin, wenn unsere Tränen uns ersticken?
Wohin fliehen, wenn wir heimatlos geworden sind?
Bei Gott anklopfen!
Er ist unser Vater,
an den wir uns immer wenden können.
Er leitet uns auf ebene Wege.
Mit innerer Freude habe ich auf das Jahr geblickt,
nicht wissend,
woher sie kommt.
Bisher hat das Neue Jahr nur Nackenschläge gebracht.
Beide habe ich vorausgesehen und
doch schmerzen sie unendlich,
wenn sie eintreten.
Heute hat mich mein weiser Bruder angerufen,
mein Bruder im Geist,
mein Bruder im Glauben,
mein Bruder im Leben.
Das Telefonat musste er sich abringen.
Ich habe keine Zeit,
hat er gesagt.
Er meinte damit,
das habe ich erst später verstanden,
er habe nicht mehr lange zu Atmen.
Ich habe es kommen sehen.
Und nun, wo der Augenblick nah ist,
rinnen mir die Tränen über das Gesicht.
Er hat mich begleitet,
ich habe ihn begleitet.
Gedanken ausgetauscht,
gemeinsam Gott gesucht,
Glaubenserfahrungen bestaunt,
ohne Scheu Dogmen überwunden,
gemeinsam verstanden,
gemeinsam gesehen,
wo andere blind sind,
wie mit keinem anderen geglaubt,
tiefer und tiefer,
weiter hinein in unbekanntes Land,
weiter Gott entgegen …
Mein weiser Bruder,
der Benediktinermönch,
hat sich heute von mir verabschiedet:
Ich werde mich eine ganze Weile nicht mehr melden.
Nein, ins Krankenhaus gehe er nicht.
Er ist 87 oder 88 Jahre,
ich weiß es nicht genau.
Er hat viele Brüder beim Sterben begleitet,
er hat viele gut und nicht gut sterben sehen,
das harte Leben hat ihn weise gemacht,
er weiß, wann es soweit ist und
Gott seine Tür aufmacht.
Ich danke dir für alles, hat er gesagt,
und eine ganze Reihe aufgezählt,
ich danke dir für alles,
was du mir gegeben hast.
Ich danke dir,
dass ich dich kennen durfte.
Das wollte ich dir noch einmal
direkt gesagt haben.
Seine Liebe und Zuneigung
floss mir entgegen.
Ich habe es kommen sehen.
Und nun, wo der Augenblick nah ist,
rinnen mir die Tränen über das Gesicht.
Er hat gehört,
wie ich die Fassung verloren habe,
ich konnte ihm noch tränenerstickt zurufen:
Bis irgendwann einmal!
Ja, bis irgendwann einmal,
hat er gesagt.
Wir beide wissen,
dass es so ist.
Und wenn nicht,
dann rufe ich wieder an.
Ich glaube, wir beide wissen,
dass wir zum letzten Mal
telefoniert haben.
Dann hat er schnell aufgelegt.
Nur nicht sentimental werden.
Ich habe es kommen sehen.
Und nun, wo der Augenblick nah ist,
rinnen mir die Tränen über das Gesicht.
Er wird sich schlafen legen,
er ist vorbereitet,
wir haben oft über den Tod,
über seinen Tod gesprochen.
Und darüber, dass der Tod
der Weg ins andere Leben ist.
Da sind wir beide ganz gewiss.
Mein weiser Bruder,
wie unendlich werde ich dich vermissen.
Ich hoffe und bete und glaube,
Gott schickt dir einen Engel
auf dem Weg in sein Reich;
dorthin, wo der große Atem ist,
du wieder Atem schöpfen kannst und
der Mensch aufatmen kann.
Und du,
befreit von deinem müden Körper,
befreit von engen Klostermauern
befreit von jeglicher Begrenzung,
befreit wird deine Seele fliegen wie ein Adler,
der seinen Horst findet.
Flieg, mein weiser Bruder, flieg!
Ich habe es kommen sehen.
Und nun, wo der Augenblick nah ist,
rinnen mir die Tränen über das Gesicht.
Wenn dein Herz voll Trauer und Schmerz ist
Läufst du Gefahr, dass du in der Trauer versinkst,
dass du im Schmerz ertrinkst.
Über Bord geworfen,
treibst du im aufgewühlten Tränenmeer,
Denkst an den Wal,
Denkst, Herr, sei da,
denkst, Herr, gib Demut,
denkst, Herr gib Nacht,
damit ich nicht mehr denken kann,
damit ich nicht mehr hoffen kann,
damit ein neuer Tag beginnen kann,
damit ich aufwache in deiner Stadt.
Das Buch steht schon etwas länger in meinem Regal.
Ich habe es auf mancher Reise mitgenommen,
aber nie angefasst.
Ich wusste warum,
ich wusste um den Schmerz und die Sehnsucht,
die mir dort begegnen würde,
hatte Angst vor der Wirkung,
Angst, beides durch mich hindurchgehen zu lassen.
Nun habe ich zu dem Buch gegriffen,
veranlasst durch einen kleinen Nebensatz in der letzten Sonntagspredigt,
bereit, dem Schmerz und der Sehnsucht ins Auge zu blicken.
Wenn Sehnsucht und Schmerz sich in dir vereint,
gehst du am besten hindurch,
umarmst das Kreuz.
Was das heißt,
Dietrich Bonhoeffer hat es mir erklärt.
Ich kann viel von ihm lernen.