Karfreitag, Ostern, Jesuskult

Lieber Luther,

lang habe ich gezögert, ob ich dir zu Ostern schreiben soll. Wahrscheinlich setzte ich mich wieder einmal bei einer bestimmten Fraktion in die Nesseln. Ostern, ein Datum, das sich nach den Mondphasen richtet. Was sollen wir von diesem Fest, das die meisten heute nur noch als Familienfest oder zusätzliche Urlaubszeit feiern, halten? Fassen wir zusammen:

Jesus hat wohl gelebt, aber was war er? Ein Charismatiker? Ein Querkopf, der sich mit weltlichen und jüdischen Machthabern angelegt hat? Einer, der in die Mühlen der vermeintlich Rechtwollenden und -schaffenden gekommen ist? Ein Außenseiter? Ein Querdenker? Einer, der unbeugsam war? Fanatisch?

Er war wohl ein Gläubiger. Ein kritisch Gläubiger. Einer, der nicht geglaubt hat, was die christlichen Kirchen heute über ihn erzählen. Da hätte seine Fantasie und Bildung nicht ausgereicht, um sich das auszudenken oder vorherzusehen. Er war einer, der wie Tausende andere, irgendwann ins Fadenkreuz der politischen und kirchlichen Fahnder geriet und dann ans Kreuz geschlagen wurde und dort elendig zugrunde ging. Ans Kreuz wurden damals nur die Outcasts geschlagen, die gesellschaftlich und sozial Ausgestoßenen. Die Letzten der Letzten.

Was wissen wir historisch von Jesus? Nichts, als dass er wohl gelebt hat und vermutlich am Kreuz starb, aber auch das ist historisch nicht wirklich gesichert. Wie ist er dann zu dem geworden, was er ist? Einer, dessen Folterinstrument, an dem er starb, zu seinem Ruhm wurde, ja zum Symbol für die gesamten christlichen Kirchen. Paradox, dass viele Menschen bis heute ein Folterinstrument, das Kreuz, als Schmuck um den Hals tragen.

Heute würde man das Phänomen „Jesus“ und den Kult, der darum betrieben wird, als Resultat einer genialen Marketingstrategie sehen. Jesus wurde – in heutiger Analyse und Sprache – von guten Marketingstrategen über Jahrhunderte zum Superstar aufgebaut. Mit einer fingierten Biographie, die ihm ein Alleinstellungsmerkmal sicherte: Gezeugt vom Heiligen Geist, geboren von einer Jungfrau, wundertätig – und – am Ende der Clou: Für die Sünden der gesamten Menschheit den Märtyrertod am Kreuz gestorben, um die ganze Welt zu entsündigen, personal von den Toten auferstanden, als Auferstandener seinen Jüngern personal begegnet, personal aufgefahren in den Himmel, wo der zur Rechten seines Vaters, Gott persönlich, sitzt und uns irgendwann im Endgericht zu sich zieht. Irgendwie wird Jesus dann zu 3 Personen in einer: Vater, Sohn und Heiliger Geist. So wird es im Glaubensbekenntnis hergebetet. Das sind die Grundpfeiler christlicher Religion.

Mit diesem kirchlichen Superstar lassen sich seit zwei Jahrtausenden veritable Geschäfte machen und Egos pflegen. Von und in Abhängigkeit von Jesus Christ Super Star verdienten und verdienen viele Menschen auf der ganzen Welt.

Ob Jesus schon durch den geistlichen Zeugungsakt göttlich geboren, durch die Taufe göttlich geworden oder erst durch den finalen Akt seiner Himmelfahrt zum Gott aufgestiegen ist, darüber sind sich schon die Evangelisten nicht einig, geschweige denn nachkommende Kleriker, Theologen und Schriftsteller. Entsprechend wird bis heute debattiert, wie es sich wohl verhält und je nach Kirchenschule, Glaubensüberzeugung und Forschungsrichtung kommt man zu einem anderen Ergebnis. Glaube in christlicher Prägung ist Glaube an die nach Jesus aufgestellten Dogmen und Theorien über ihn. Ohne das ganze theoretische Brimborium und den Personenkult um ihn, wäre Jesus nichts als ein gläubiger Mensch, der für seine Glaubensüberzeugungen, die nicht die herrschenden waren, eingestanden ist.

Wenn wir heute über den christlichen Osterzyklus nachdenken:
Palmsonntag, mit dem Einzug Jesu in Jerusalem,
Gründonnerstag: Abendmahl und Fußwaschung,
Karfreitag, Jesu Kreuzung und Verfinsterung der Welt,
Ostersonntag, seine Auferstehung und sein personales Erscheinen und
Himmelfahrt mit Jesu personalem Auffahren in den Himmel.

Es ist Personenkult, der um Jesus betrieben wird, Jesus-Kult. Davon leben die christlichen Kirchen, die Kleriker und Theologen, all diejenigen, die unter der Marke „Jesus“ Geschäfte machen und Geld verdienen.

Nur, die Welt ist inzwischen global geworden, die Menschen nehmen den christlichen Kirchen ihre Leitsätze und Dogmen nicht mehr ab. Zwar glauben zwei Drittel der Menschen in Deutschland zu glauben, aber bei weitem nicht an alles, was die Kirchen gerne hätten, dass sie glauben. Der moderne Mensch informiert sich über Religionsgrenzen hinweg. Die Menschen glauben, lassen sich aber nicht mehr vorschreiben, was sie glauben sollen. Sie durchschauen das christliche Moralgebäude und sind nicht mehr willens, sich durch es unter Druck setzen oder überhaupt beeinflussen zu lassen. Die Institution „Kirche“ wird, wenn überhaupt, mehr als Sozialeinrichtung, denn als Glaubensinstanz wahrgenommen und von den Menschen, insbesondere den Älteren, genutzt und akzeptiert. Zu schräg und verstaubt sind die Dogmen, die bis heute vertreten werden. Sie schrecken mehr ab, als dass sie anziehen.

An einen personalen Gott glaubt heute nur noch ein kleiner Teil der Menschen, das zeigen statistisch repräsentative Umfragen. Und an Jesus als einen Gott auch nur noch der kleinere Teil der Zeitgenossen. Die Marketingstrategie der Kirchen funktioniert nicht mehr und die Kirchen sind nicht zu einem dogmatischen Frühjahrsputz bereit, da er ihnen weitgehend ihr theologisches und institutionelles Fundament weghauen würde. Sie haben kaum eine andere Wahl. Sie sind gefangen in ihren eigenen Fangstricken.

Zurück zu Ostern. Welche Natur hat das Osterfest unter diesem Blickwinkel? Wir wissen quasi nichts über Jesus. Was überliefert ist, deutet auf einen Menschen hin, der aus ärmlichsten Verhältnissen kam, ungebildet war, aus der untersten Klasse stammte und für die Armen der Ärmsten eingestanden ist, ihnen eine Perspektive, eine Hoffnung, einen Glauben gegeben hat, nicht an ihn als Person, sondern an Gott, den er Vater nannte, von dem er sprach als sei es sein Vater. Er nannte ihn Vater, weil er sich von ihm allein umsorgt fühlte, weil er auf ihn allein vertrauen konnte, weil er sich ihm allein verbunden und verpflichtet fühlte. Er war ganz auf Gott ausgerichtet, einen monotheistischen Gott in jüdischer Tradition, aber ohne weltlich orientierte jüdische Moral- und Verhaltensregeln.

Jesus vertrat einen Gott, der sich nicht durch Menschen begrenzen oder vereinnahmen lässt, einen, den man im täglichen Leben erfahren kann. Einen, auf den man vertrauen kann, im Leben und im Sterben. Es ist ein Gott, der uns zu sich ins Leben führt, auf wunderbare Weise, die für uns nicht erklärlich ist und die man auch nicht erklären braucht, sondern nur leben und glauben. Jesus predigt einen Gott, der Demut erfordert und ein gutes inneres Ohr, um ihn zu hören. Einen, der keine Religion braucht. Jesus hat sich am Rande oder gar außerhalb seiner Glaubenstradition bewegt. Genau lässt sich das nicht mehr feststellen.

Der feste Glaube an diesen Gott ist das, was wir an Jesus lernen können. Ein Glaube, der auch nicht angesichts der menschlichen Gewalt, Verwüstung und Verrohung der Menschen, der Einsamkeit und Unverlässlichkeit seiner engsten Freunde ins Wanken kam. Und selbst wenn er doch ins Wanken gekommen sein sollte, spricht das nur für sein Menschsein, für das Brudersein Jesu im Glauben.

Die Evangelisten, Theologen, Historiker und Schriftsteller sind sich wie bei Jesu Geburt auch über sein Sterben nicht einig. Wie könnten sie auch, es war keiner dabei, auch keiner, der später aufgeschrieben hat, was Jesu angeblich gesagt und getan hat, als er starb. Absolute Wahrheiten gibt es in dieser Hinsicht nicht. Vielleicht starb Jesus genauso namenlos und unspektakulär wie Tausende andere. Es ist eine Möglichkeit, die genauso plausibel oder unplausibel ist wie jede andere. Das Wie ist reine Spekulation. Nur soweit kann Konsens zwischen allen Menschen hergestellt werden: Sterben muss jeder, musste auch Jesus. Alles andere darüber hinaus kann man glauben, muss es aber nicht, was nicht heißt, dass man nicht glaubt, sondern nur, dass man die Ausschmückungen und Dogmen christlicher Prägung nicht zwangsläufig glauben muss.

Lieber Luther, du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Das ist das erste und vornehmste Gebot. Ich bin sicher, das galt auch und gerade für Jesus. Den christlichen Kult, den man um seinen Tod (und seine Geburt) nachträglich machte, ist – wie das Wort schon sagt – Kult um jemanden, den man – unfreiwillig – zum Superstar ernannt hat, vor dem Hintergrund mannigfaltiger Interessen. Die Osterbräuche sind eine Umdefinition heidnischer Bräuche in christliche. Man musste dem Volk etwas bieten. Mit Brot und Spielen, das wussten nicht nur die weltlichen Herrscher, ködert man die Massen. Das lässt sich historisch auch nachvollziehen.

Viel Menschenblut und -not kostete das Marketing der kirchlichen Machtstrategen – insbesondere für Protzbauten und Kriege. Vielleicht wäre es eine gute Idee, heute – an Karfreitag – an diese Menschen zu denken: an die Opfer, die den Theologen, Klerikern und Kirchenleuten, den Religionen weltweit zum Opfer fielen und fallen. Karfreitag als Gedenktag an den Tod Jesus und an alle Opfer von Religionen und religiöser Verfolgung. Karfreitag hätte als Gedenktag einen Sinn, den auch Jesus mittragen könnte.

Lieber Luther, Religion und Glauben sind zwei Paar Stiefel: Dafür stand, steht und starb Jesus. Das war sein Ruhm, nicht sein unrühmlicher Tod. Den hat er sich wahrscheinlich auch angenehmer gewünscht, jedenfalls ist er nichts, was es zu feiern gibt. Nicht für den- und diejenigen, die so sterben mussten, nicht für diejenigen, die diese Tode zu verantworten haben, und schon gar nicht für diejenigen, die diesen grausamen Tod nachträglich glorifiziert haben und weiterhin glorifizieren.

Herzliche Grüße
Deborrah

11 Kommentare zu „Karfreitag, Ostern, Jesuskult“

  1. Historisch gesehen stand Jesus wahrscheinlich theologisch dem hingerichteten Johannes dem Täufer nahe. Von dessen Lehre aber nicht mehr viel bekannt ist als das wenige, das die Evangelien andeuten.

    Jesus trat vermutlich als Endzeitprophet auf, der das baldige Reich Gottes predigte. Allerdings auf andere Art und Weise als der jüdische Klerus. Das INRI am Kreuz gilt in der historischen Jesus-Forschung als authentische Überlieferung. Das deutet darauf hin, dass zumindest die Jünger ihn für den verheißenen Messias hielten. Der Titel Sohn Gottes war gar nicht so sehr religiös sondern insbesondere ein politischer Angriff auf dem römischen Kaiser. Nach der Ernennung Caesars zum Gott nannte sich dessen Nachkomme selbst Sohn Gottes, der als Kaiser Frieden im Reich schaffen würde…

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    1. Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Noch eine Bemerkung dazu: „INRI“ (IN = Jesus der Nazoräer“ steht nur im Johanndesevangelium, dem jüngsten aller Evangelien, dagegen „RI“ (König der Juden) bei allen Evangelisten, in vier unterschiedlichen Textvarianten. Keiner dieser Schreiber war Zeuge oder auch nur Zeitzeuge. Historisch ist es nicht überliefert dass der titulus crucis auf dem Kreuz stand. Im allgemeinen mussten die Verurteilten ein Schild mit dem titulus crucis – ähnlich wie beim Hexenpranger – um den Hals tragen, während sie durch die Massen getrieben wurden, so dass jeder den Grund der Verurteilung lesen konnte und die Richtung für das Gespött der Massen, dem die bedauernswerten Menschen ausgesetzt waren, gleich mitgeliefert wurde. Natürlich hatte das eine politische Komponente. Man machte sich nicht die Mühe, diese Tafeln am Kreuz zu befestigen. Nägel waren damals sehr selten und ein kostbares Gut. Es ist nicht erwiesen, dass Jesus tatsächlich mit Nägeln ans Kreuz genagelt wurde, es ist eher unwahrscheinlich, da es zu seiner Zeit völlig unüblich war und Nägel eine Mangelware waren. Die verschwendete man nicht für die Letzten der Letzten.

      Ein Teil der Forschung sagt, dass der „König der Juden“ eher als Angriff auf die weltliche Macht gesehen wurde, da die römischen Besatzer völlig verhasst waren und Widerstandskämpfer sich gruppierten und zu Aufständen aufwiegelten. Manche Forscher sagen, Jesus sei ein Anhänger einer solchen Widerstandsgruppe gegen die römischen Unterdrücker gewesen.

      Jesu Leben ist und bleibt ein Schwarzes Loch in der Geschichte und es wird gut sein, dass es so ist. Ich denke nicht, dass die historische Forschung wirklich zum Verständnis und zur Erkenntnis dessen, was Jesus uns zu sagen hatte, beitragen kann. Jeder muss sich das durch die Widersprüche in der Bibel selbst erarbeiten. Und der Schlüssel liegt nicht in der Bibel selbst, er liegt in jedem Herzen.

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      1. Du hast Recht. Die historisch-kritische Jesus-Forschung geht trotzdem davon aus, dass der Spottname König der Juden authentisch ist. Auf welche Art er verwendet wurde ist dabei Zweitrangig.

        König der Juden ist ein Titel, der von keinem der biblischen Autoren selbst an irgendeiner anderen Stelle verwendet würde. Die Autoren sahen darin offensichtlich vor allem die Herabwürdigung durch die Römer. Die Gemeinde von Johannes hat sich von den Juden sogar schon so weit entfernt, dass sie den Titel unmöglich als Ehre bezeichnen würde. Keine der Autoren hätte ihn erfunden, vielmehr war der Titel den biblischen Autoren peinlich. So dass sie ihn im Gegensatz zu Sohn Gottes o.a. nirgends sonst verwenden. Dass er den Auroren der Bibel nicht gefällt ist ein Indiz für seine Echtheit.

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      2. PS: Jesus ist geschichtlich nicht mehr oder weniger schwarzes Loch als jedes andere antike Ereignis.

        Dass wir von irgendeinem antiken Ereignis vier Quellen haben, die innerhalb von 100 Jahren danach geschrieben wurden, wenn man Paulus dazurechnet sogar innerhalb von 20 Jahren, das haben wir sonst nirgends.
        Für fast alle antiken Ereignisse (egal ob Caesar oder sonstiges) greifen wir auf eine einzige Quelle zurück, die min 200 Jahre danach geschrieben wurde. Und das oft auch nicht von einem unabhängigen Historiker, der nach modernen wissenschaftlichen Methoden vorging sondern von regierungsnahen Autoren.

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  2. Nur schreibt, was in der Bibel steht, sonst kein Geschichtsschreiber.

    Und damit auch genug. Wie gesagt, für mich ist diese historische Betrachtungsweise ein Irrweg. Und die Evangelien- und Bibelschreiber waren keine Geschichtsschreiber, sondern Geschichtenschreiber mit einem bestimmten Ziel, nämlich das Christentum zu etablieren und gegen andere Strömungen eine Theologie durchzusetzen. Und da waren sie sich schon nicht einig wie die Theologen bis heute. Jeder erzählt Passion und Geburt anders, bei Markus sind die letzten Kapitel später hinzugeschrieben worden. Warum?

    Solche Diskussionen führen im Glauben nicht weiter, sie verteidigen etwas, was nicht zu verteidigen ist. Und trotzdem lese ich die Bibel mit Gewinn und jeden Tag, als Glaubenszeugnis und nicht als Geschichtsbuch.

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    1. Ich bin auch kein Anhänger der historisch-kritischen Methode. Über die wirklich wichtigen Dinge kann sie nichts aussagen. Die sind eine Frage des Glaubens. Da muss man einfach auf Gott vertrauen, dass due zentralen Glaubensaussagen vom heiligen Geist geleitet wurde.

      Aber Anhänger der historischen Forschung können mit ihren geschichtswissenschaftlichen Methoden schon erstaunlich viel aus der Bibel über die historischen Dinge herausfiltern, die nichts mit Wundern und Gott zu tun haben.

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  3. Liebe Deborrah,

    vielen Dank für die excellente Analyse.
    Besonders „geschmunzelt“ habe ich bei dem „Marketingaspekt“… und frage mich, warum aus Platon, Aristoteles oder Seneca so wenig geworden ist? Wo doch hier ausreichend selbstverfaßte „Original-Quellen“ und Texte überliefert sind.

    Erlaube mir auch einen Blick auf Luther: Würden wir ihn in die Jetztzeit „beamen“, so habe ich die Befürchtung, daß er hochkant aus der evangelischen Kirche fliegen würde… das aber nur am Rande.

    Lieben Dank für den erhellenden Artikel,

    Raffa.

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