Das Gefängnis, in dem man sitzt, kann ein reales sein, Lebenswelten, Arbeitswelten, aber auch die Gedanken, in denen man gefangen ist. Letzteres ist oft noch einengender als nur räumliche Unfreiheit. Das Sichtbare ist fassbar, das Unsichtbare nicht. Wie kann man auch im Gefängnis frei sein, leben? Kann man das lernen? Bei einem anderen abschauen?
„Wenn man Gefangener ist, weiß man nichts, ist man sich über nichts sicher. Gerade das macht das Gefängnis aus. Man hat das Vertrauen verloren. Es ist mit einem Schlag abgeschnitten. Man findet sich in einer schrecklichen Welt wieder, in der nicht mehr Bestand hat, in der das einzig gültige Gesetz von Menschen gemacht ist. Und plötzlich begreift man, dass von allen Gefahren des Universums der Mensch die schlimmste ist“.
Das wurde geschrieben von einem Mann, der das Licht in sich hatte, einem Gesegneten, einem Lieblingskind der Welt und Gottes, trotz seiner Blindheit, Jacques Lusseyran. Er überlebte als physisch Blinder, aber innerlich Sehender, als einer der Wenigen sogar das KZ Buchenwald.
Er gibt ein Beispiel, was Glaube bewirken kann, so dass diejenigen, die nicht so vom Licht beschienen sind, daraus lernen können. Es soll zeigen, dass man einzig aus Glauben leben und dabei Freude und Glück verspüren kann, egal wie tief das Erschrecken an den Menschen ist.
Jedoch, nicht jeder ist der Welt oder Gottes Lieblingskind. Nicht alle sind so stark wie er, nicht alle so begnadet, nicht alle werden von ihren Eltern von Anbeginn so auf Händen getragen, dass sie in der Kindheit den Boden gar nicht berühren brauchen und den Sturm nicht kennen, nur die wenigsten haben ein Fundament, das sie durchs Leben fliegen lässt.
Was ist mit denen, die schon im Mutterleib bekämpft wurden, schon dort nichts als geweint haben und erst gar nicht ans kalte Licht der Welt wollten? Was kann ihnen einer sagen, der vom anderen Ende der Welt kommt, der gar nicht weiß, was Finsternis ist?
Die eine oder andere Prägung mit vielen Abstufungen dazwischen, ist die Realität des jeweiligen Lebens. Sie ist eine Prägung fürs Leben.
Egal von welchem Ende der Welt man kommt, die Botschaft, die Jacques Lusseyran vermitteln wollte, ist: Durch die Gnade Gottes kommt man durch alles hindurch, egal wie tief die Abgründe sind, die uns in den Menschen begegnen. Gott ist da, jeden Augenblick. Sein Licht ist da. Jacques Lusseyran musste unfassbar viele Bösartigkeiten mit ansehen, trotzdem ist das Licht in ihm nicht erloschen. Das Licht ist da.
Das Licht ist da. Jedoch, ob es im Dunkel aufscheint oder im Licht, das mag unterschiedlich sein und die Lichtabstufungen dazwischen sind zahlreich. Es gibt so viele Lichtabstufungen, wie es Menschen gibt, da jeder Mensch in sich einzigartig ist. So, wie er ist, in seiner Lebenswirklichkeit, auch oder gerade, wenn er im Gefängnis sitzt. Das macht auch im Gefängnis sicher, das macht das Gefängnis licht. In gewisser Weise ist Leben immer ein Gefängnis, das einengt, egal welche Lebenswirklichkeit wir haben. Dies anzuerkennen, ist Befreiung.
Licht sehen, kann man nicht lernen. Das Licht kann man nur erblicken, egal ob wir in einem dunklen oder hellen Gefängnis sitzen. Freude kann man nicht lernen, sie kommt aus dem Herzen oder eben nicht. Glück kann man nicht herbeisehen. Das sollte derjenige nicht vergessen, dessen Weg das Buch von Jacques Lusseyran kreuzt. Sonst bewirkt es das Gegenteil dessen, was seine Absicht war. Es lässt einen mehr an der eigenen Unzulänglichkeit verzweifeln als dass es beflügelt. Der Kern des Lichts, das er so poetisch und feinfühlig beschreibt, bleibt davon aber unberührt. Kein leichtes Buch.
Jacques Lusseyran: Das wiedergefundene Licht. Dtv. 8.Aufl 1996.
